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Lesen, was drinsteht — rausholen, was drinsteckt: Wie blinde Computernutzer sich PDF-Dokumente zugänglich machen geschrieben von Oliver Nadig (2005)

Dieser Beitrag wurde von Oliver Nadig in Oktober 2005 verfasst. Die vorliegende Fassung ist die Version 1.02 vom 25.1.2006.

6.3 PDF mit und ohne Tags

"Sie wissen, dass der Inhalt einer PDF-Datei mit Hilfe von Tags logisch strukturiert werden kann. Beachten Sie: Die An- oder Abwesenheit von Tags wirkt sich nicht auf die visuelle Präsentation am Bildschirm aus. Sie beeinflusst drei für uns Screenreader-Benutzer wichtige Aspekte:

  1. In welcher Reihenfolge die Dokumentbestandteile von einem Bildschirmleser über Sprachausgabe oder Braillezeile dargestellt werden,
  2. ob beim Umwandeln von PDF in ein anderes Dokumentformat sämtliche Dokumentbestandteile berücksichtigt und in der richtigen Reihenfolge konvertiert werden,
  3. ob das Dokument korrekt umfließt, wenn sehbehinderte A.R.-Nutzer die Anzeige vergrößern.

Verwechseln Sie Tags bitte nicht mit Lesezeichen. In langen Dokumenten dürfen Lesezeichen nicht fehlen, um die Navigation zu ermöglichen.

Damit Sie sich jetzt aber besser vorstellen können, was man unter einem Tag versteht, bringe ich ein praktisches Beispiel:

In Abschnitt 4.2 unserer Unterhaltung findet sich der Text 'Umschalten vom Navigationsfenster in den Dokumentbereich'. Dieser Text ist Teil einer Tabelle, in der es um Tastenkombinationen zur Bedienung des A.R. geht; genauer gesagt: der Text befindet sich in Zeile 3, Spalte 3 der ersten (und einzigen) Tabelle des genannten Abschnittes. Wir wollen einmal nachvollziehen, wie die Information 'Der angegebene Text befindet sich in Zeile 3, Spalte 3 der ersten Tabelle von Abschnitt 4.2' mit Hilfe eines Tags dargestellt wird:

  1. Die logische Struktur eines Dokumentes, und damit auch die Struktur von Tags, gliedert sich in mehrere Ebenen, ist also immer hierarchisch aufgebaut. Hierarchien lassen sich sehr gut mit Hilfe von Baumstrukturen veranschaulichen. Entsprechend gehört zu jedem 'getaggten' PDF-Dokument ein sogenannter 'Tag-Baum'.
  2. Die Wurzel des Tag-Baumes bildet das Dokument, den 'Stamm' des Tag-Baumes bilden in der Regel die einzelnen Dokumentseiten.
  3. In gut strukturierten Dokumenten werden zur Gliederung verschiedene Überschriften-Ebenen eingesetzt. Im vorliegenden Text stehen das Inhaltsverzeichnis und die Überschriften der Kapitel auf Ebene eins, während die Überschriften der Abschnitte auf Ebene zwei und die Überschriften der Unterabschnitte (gibt es im vorliegenden Dokument nur in Abschnitt 5.3 und Abschnitt 6.4) auf Ebene drei angesiedelt sind.
  4. Den Inhalt von Abschnitt 4.2 finden wir also im Tag-Baum, indem wir nach dem vierten Überschriftenelement der Ebene Eins Ausschau halten, bei diesem Element in die nächst tiefere Baum-Ebene absteigen und uns dort zur zweiten Überschrift der Ebene Zwei bewegen.
  5. Der Inhalt von Abschnitt 4.2 ist wiederum untergliedert: Mehrere Textabsätze stehen auf hierarchisch gleicher Ebene nebeneinander. Es gibt aber auch eine Tabelle, die wiederum über Unterstrukturen verfügt: Die Tabelle, die den gesuchten Text 'Umschalten vom Navigationsfenster in den Dokumentbereich' enthält, gliedert sich in Zeilen, die wiederum aus Tabellenzellen aufgebaut sind. Beim angegebenen Text handelt es sich um den Inhalt der ersten Zelle in Tabellenzeile drei.

Fazit: Der Text 'Umschalten vom Navigationsfenster in den Dokumentbereich' ist mit einem Tag versehen, der ihn strukturell als Inhalt der ersten Zelle in der dritten Zeile in der ersten Tabelle in Abschnitt zwei in Kapitel vier des vorliegenden Textes auszeichnet."

"Ich denke, dass ich verstanden habe: Wenn ein PDF-Dokument 'getaggt' ist, kann mein Screenreader die in den Tags enthaltene Information dazu nutzen, die Dokumentbestandteile gezielt an zu springen und mir die strukturierte Navigation zwischen ihnen zu ermöglichen. So kann ich etwa – unter Hinzuziehung von Lesezeichen – die Überschrift von Abschnitt 4.2 aufsuchen und danach zur nächst folgenden Tabelle springen."

"Genauso ist es. Wäre das Dokument 'ungetaggt', könnte ein sehender Computernutzer sicher anhand des Dokumentlayouts feststellen, dass sich in Abschnitt 4.2 eine Tabelle befindet. Ihr Screenreader wüsste jedoch nichts von dieser Tabellenstruktur. Sie hätten nicht die Möglichkeit, sich innerhalb der Tabelle von Zeile zu Zeile oder von Spalte zu Spalte zu bewegen und Ihre Sprachausgabe würde den Inhalt der Tabelle vorlesen, wie einen unstrukturierten Fließtext."