Barrierefreies Webdesign ein zugängliches und nutzbares Internet gestalten

Konformität nach WCAG 2.1 geschrieben von Jan Hellbusch (2014)zuletzt bearbeitet in

WCAG-EM im Überblick

Der Gegenstand einer Konformitätsbewertung ist die Feststellung, inwieweit ein Webauftritt festgelegten Anforderungen entspricht. Im Hinblick auf barrierefreies Webdesign geben die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1 mit den Erfolgskriterien und den Konformitätsbedingung vor, wie eine einzelne Webseite auf Barrierefreiheit geprüft wird.

Die WCAG 2.1 beschreibt nicht, wie die Barrierefreiheit eines kompletten Webauftritts bewertet werden kann. Diese Vorgehensweise wird in einem zusätzlichen, nicht normativen Dokument, die Extern, englischsprachig: Website Accessibility Conformance Evaluation Methodology (WCAG-EM) 1.0, beschrieben. Das Dokument beschreibt Best-Practice-Vorgehensweisen, weist auf typische Fehler bei Konformitätsbewertungen hin und unterstützt bei der Erreichung vergleichbarer Ergebnisse.

Die WCAG-EM beschreibt den Prozess der Bewertung in fünf Schritten:

Schritt 1: Bewertungsumfang

Bevor die Prüfung eines Webauftritts begonnen werden kann, sollten sich Prüfer und Auftraggeber über den Bewertungsumfang einig sein. Eine erste Sichtung des Webauftritts kann viele Einsichten liefern, die für eine gründliche Erkundung des Webauftritts (Schritt 2) wichtig sind. Dem Grunde nach geht es bei der ersten Sichtung natürlich darum, Fehleinschätzungen zu vermeiden und möglichst übereinstimmende Erwartungen zum Umfang der Prüfung zwischen Auftraggeber und Prüfer zu erreichen.

Drei Aspekte müssen bei der Sichtung des zu prüfenden Webauftritts besonders beachtet werden:

  1. Zunächst sollten die Bereiche des Webauftritts festgelegt werden, die bei der Prüfung berücksichtigt werden sollen. Ziel dabei ist, eine Liste von Webseiten, Webseitenbereiche und so weiter zu erstellen, die eine repräsentative Seitenauswahl ermöglichen. Gleichzeitig sollten auch diejenigen Bereiche des Webauftritts benannt werden, die von der Prüfung ausgeschlossen werden.
  2. Darüber hinaus muss gemäß der ersten Konformitätsbedingung der WCAG 2.1 die angestrebte Konformitätsstufe geklärt sein. Im Allgemeinen stellt Konformitätsstufe AA eine realistische Zielvorgabe für die barrierefreie Weiterentwicklung eines Webauftritts dar – für öffentliche Stellen in Deutschland ist nach §3 Absatz 2 BITV 2.0 Konformitätsstufe AA der WCAG 2.1 mindestens zu erreichen.
  3. Schließlich sollte bestimmt werden, für welche Browser- und Assistenztechnologie-Versionen (insbesondere Screenreader) die Barrierefreiheit unterstützt werden soll. Neben einer formalen Prüfung der Erfolgskriterien muss für die Barrierefreiheit natürlich auch garantiert werden, dass gewählte Lösungen in gängiger Software funktionieren. Vor allem bei neueren Webtechniken kann die die Barrierefreiheit unterstützende Techniken für ältere Assistenztechnologie-Browser-Kombinationen nicht immer gewährleistet werden.

In dieser ersten Phase können weitere Anforderungen den Bewertungsumfang beeinflussen. Diese sollten ebenfalls zwischen Prüfer und Auftraggeber erörtert werden. Beispiele solcher Themen sind:

  • vollständige Prüfung oder Prüfung einer repräsentativen Seitenauswahl,
  • besondere Use-Cases,
  • Prüfung oder Prüfung unter Einbeziehung von Lösungen,
  • Nutzertests mit Menschen mit Behinderungen oder
  • Anforderungen an die Prüfungsdokumentation.

Solche Erwartungen an das Ergebnis der Konformitätsbewertung sollten frühzeitig abgesprochen werden.

Schritt 2: Erkundung des Webauftritts

Bevor eine Seitenauswahl für eine Prüfung getroffen werden kann, muss ein Prüfer die Inhalte eines Webauftritts kennengelernt haben. Vor allem bei größeren Webauftritten muss auf der ersten Sichtung eine gründliche Erkundung des Webauftritts folgen, um Aufgabe, Zweck und Funktionalität des Webauftritts zu verstehen. Auch nach einer genaueren Analyse der Inhaltsformen und Festlegung der Seitenauswahl (Schritt 3) wird es immer wieder dazu kommen, dass während der Prüfung neue Inhaltsformen entdeckt werden und weitere Webseiten nachträglich mit in den Prüfumfang aufgenommen werden müssen. Die Erkundung ist also eine ständige Aufgabe bei der Konformitätsbewertung.

Als Vorbereitung für eine Seitenauswahl wird in der WCAG-EM vorgeschlagen, Listen von Webseiten für folgende fünf Kategorien zu erstellen:

  1. Zunächst sollten die Übersichtsseiten identifiziert werden. Typischerweise werden solche Übersichtsseiten von der Startseite und seitenübergreifenden Navigationsleisten und anderen Seitenbereichen verlinkt.
  2. In einem zweiten Schritt sollte der Webauftritt auf seine eigentliche Funktionalität untersucht werden. Hierbei geht es um die grundsätzlichen Funktionen, die für den Zweck des Webauftritts unentbehrlich sind, etwa ein Login, Kauf- und Bezahlvorgänge oder ähnliche Webseiten.
  3. Als Nächstes sollten die unterschiedlichen Seitentypen und Inhaltsformen identifiziert werden. Webseiten, die sich in Stil, Layout, Struktur oder Funktionalität unterscheiden, können auch unterschiedlich barrierefrei sein. Oft werden sie von unterschiedlichen Templates oder Skripts erzeugt oder von verschiedenen Personen betreut. Merkmale, auf die es zu achten gilt, sind:
    • unterschiedliche Stile, variierende Layouts, Strukturen, Navigationen, Interaktionen oder Gestaltungen
    • unterschiedliche Inhaltsformen wie Formulare, Tabellen, Listen, Überschriften oder Multimedia
    • unterschiedliche Widgets wie Date-Picker, Slide-Shows und so weiter
    • unterschiedliche Techniken (HTML, CSS, JavaScript, ARIA oder PDF),
    • verschiedene Bereiche des Webauftritts (Startseite, Shop, Organisationseinheiten) einschließlich jeglicher Anwendungen
    • unterschiedliche Code-Stile und Templates
    • unterschiedliche Autoren
    • anpassbares Aussehen, Verhalten oder angepasste inhaltliche Zusammensetzung abhängig vom Nutzer, Zugangsgerät, Browser oder gewählten Einstellungen
    • dynamische Inhalte, Fehlermeldungen, Dialogfenster und weitere Interaktion
  4. Bei der Erkundung sollten auch die eingesetzten Techniken identifiziert werden, die zur Erreichung der Konformität eingesetzt werden. Oft geht es um den Einsatz verschiedener Frameworks, aber es geht auch um allgemeine Techniken wie HTML und CSS, um zusätzliche Techniken wie ARIA und spezielle Techniken wie SMIL, SVG oder PDF.
  5. Schließlich sollten solche Webseiten identifiziert werden, die für Menschen mit Behinderung oder für die Zugänglichkeit des Webauftritts relevant sind. Diese können beispielsweise sein:
    • Webseiten, die besondere Merkmale der Barrierefreiheit auf dem Webauftritt erklären
    • Webseiten mit Hilfestellungen und Informationen über die Nutzung des Webauftritts
    • Webseiten mit Informationen über Einstellungen und Optionen, Tastenkurzbefehle und so weiter
    • Webseiten mit Kontaktinformationen, Wegbeschreibungen und weiteren Unterstützungsangeboten
Schritt 3: Repräsentative Seitenauswahl

Eine möglichst repräsentative Seitenauswahl ist die Grundlage für eine akzeptable Aussage über die tatsächliche Barrierefreiheit eines Webauftritts. Da viele Webauftritte aufgrund der großen Zahl einzelner Webseiten nicht vollständig geprüft werden können, bietet die WCAG-EM einige Kriterien, um eine Stichprobe festzulegen. Bei manchen (kleineren) Webauftritten kann eine vollständige Prüfung vorgenommen werden; in dem Fall gehören alle Webseiten zur Seitenauswahl und Schritt 3 kann übersprungen werden.

Um eine passende Seitenauswahl treffen zu können, müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden. Je größer oder älter oder heterogener ein Webauftritt ist, desto größer wird außerdem die Seitenauswahl sein. Auch die Komplexität des Webauftritts oder die Qualität von Prozessen und Schulungen der Mitarbeiter haben einen starken Einfluss auf die Seitenauswahl.

Eine Seitenauswahl kann iterativ verlaufen, das heißt wenn während der eigentlichen Prüfung (Schritt 4) festgestellt wird, dass die Seitenauswahl nicht repräsentativ ist, muss eine verbesserte Seitenauswahl getroffen werden.

Als Orientierung für die Seitenauswahl können folgende Kriterien genutzt werden:

  1. Alle Übersichtsseiten einschließlich variierender Zustände werden in die Seitenauswahl aufgenommen.
  2. Alle Webseiten, die für Menschen mit Behinderung oder für die Zugänglichkeit der Webseite relevant sind, einschließlich variierender Zustände werden in die Seitenauswahl aufgenommen.
  3. Weitere Webseiten werden in die Seitenauswahl aufgenommen, die insbesondere die Funktionalität, Seitentyp und eingesetzten Techniken abdecken, die in Schritt 2 ermittelt wurden und nicht in den bislang aufgenommenen Webseiten vorkommen. Es geht darum, mindestens eine Webseite für jede Inhaltsform in die Seitenauswahl aufzunehmen.

Darüber hinaus sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden:

  • Es sollten zusätzliche, zufällig ausgewählte Seiten zur Seitenauswahl hinzugefügt werden, die 10% der ursprünglichen Auswahl umfassen. Wenn beispielsweise 70 Seiten in der bisherigen Auswahl berücksichtigt wurden, dann sollten 7 weitere Seiten zur Seitenauswahl hinzugefügt werden, um zu verifizieren, dass die Seitenauswahl repräsentativ ist. Wie diese Webseiten ermittelt werden, ist nicht festgelegt, aber das Verfahren sollte keine vorhersagbaren Ergebnisse erlauben.
  • Für jede Webseite der Seitenauswahl, die Teil beziehungsweise der Anfang eines Prozesses ist, muss gemäß der dritten Konformitätsbedingung der WCAG 2.1 um alle weiteren Webseiten und Zustände des Prozesses ergänzt werden. Für jeden Prozess sollten die einzelnen Schritte und die Variationen (zum Beispiel Fehlerbehandlung) erfasst werden. Es empfiehlt sich, statt URIs Aufgabenstellungen zu beschreiben, um die einzelnen Verästelungen des Prozesses zu erfassen.
Schritt 4: Prüfung der Seitenauswahl

Bei der in der WCAG-EM vorgeschlagenen Vorgehensweise für die Prüfung handelt es sich um ein Audit der vorher bestimmten Seitenauswahl. Es soll festgestellt werden, ob den Erfolgskriterien der gewählten Konformitätsstufe genügt wird und ob die Konformitätsbedingungen der WCAG 2.1 erfüllt werden.

Die Vorgehensweise bei der Prüfung der Barrierefreiheit kann wie folgt zusammengefasst werden:

  1. Für jede Webseite aus der Seitenauswahl müssen die Konformitätsbedingungen aus der WCAG 2.1 für die angestrebte Konformitätsstufe angewandt werden. Prozesse und Zustände, die durch Nutzereingabe erst angezeigt werden können, sollen erst anschließend überprüft werden. Zu beachten ist auch, dass wiederkehrende Inhalte wie eine Suchfunktion oder eine gleichbleibende Navigationsleiste nicht bei jedem Vorkommnis geprüft werden müssen. Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass den Erfolgskriterien genügt werden muss und dass die Extern, englischsprachig: Techniken lediglich Best-Practice-Beispiele darstellen.
  2. Für jeden identifizierten Prozess in der Seitenauswahl müssen die Konformitätsbedingungen erfüllt sein und jedes Erfolgskriterium der angestrebten Konformitätsstufe angewandt werden. Hierbei muss jede einzelne Webseite und jeder Zustand im Prozess bewertet werden, wobei in den meisten Fällen eine Beschränkung auf die sich verändernden Inhalte für die Bewertung ausreicht. Insbesondere geht es um die Funktionalität, Eingaben, Meldungen von der Webseite und sonstige Veränderungen der Inhalte durch Interaktion.
  3. Für jede Webseite, die per Zufallsverfahren in die Seitenauswahl aufgenommen wurde, muss überprüft werden, ob sie Inhalte oder Ergebnisse aufweist, die in der strukturierten Auswahl nicht vorkommen. Wenn die zufällig ausgewählten Webseiten neue Inhaltsformen aufweisen, dann deutet dieser Umstand darauf hin, dass die Seitenauswahl nicht repräsentativ ist. In solchen Fällen muss die Seitenauswahl angepasst werden.
Schritt 5: Gutachten

Das Ergebnis einer Konformitätsbewertung ist ein Gutachten, in dem die ersten vier Schritte dokumentiert werden, ergänzt um Angaben wie das Prüfdatum sowie die Namen der Prüfer und des Auftraggebers. Alle oben beschriebenen Aspekte der Konformitätsbewertung sollten in dem Gutachten verschriftlicht werden, um Transparenz herzustellen, Reproduzierbarkeit zu ermöglichen und selbstverständlich auch Aussagen zur Barrierefreiheit zu untermauern.

Gerade die Dokumentationsform der eigentlichen Prüfung sollte zwischen Prüfern und Auftraggeber abgestimmt worden sein. Oft werden nicht genügten Erfolgskriterien wiederkehrend sein und für die Dokumentation der Prüfung kann eine Fundstelle repräsentativ für viele Fundstellen aufgeführt werden. Genauso kann ein Auftraggeber aber eine seitenweise Auflistung der Problemstellen wünschen. Wenn weitergehende Anforderungen an die Prüfung gestellt wurden, zum Beispiel bei nicht genügten Erfolgskriterien die Angabe von Lösungshinweisen oder die Vorstellung fertiger Lösungen, dann muss die Dokumentation entsprechend ergänzt werden.

Über die Dokumentation hinaus gibt es eine Reihe weiterer Möglichkeiten, ein Gutachten zu ergänzen. In der WCAG-EM werden folgende vier optionale Ergänzungen beschrieben:

  • Für manche Webauftritte ist es zweckmäßig, aufgetretene Besonderheiten der Prüfung zu dokumentieren, damit das Ergebnis reproduzierbar wird. Hierzu können gesicherte Webseiten oder Screenshots von Webseiten, Beschreibungen der Klick-Pfade, Beschreibungen von Einstellungen oder Eingaben, die Angabe eingesetzter Software oder die Beschreibung von Prüfmethoden und -abläufen zählen. Diese Informationen können allgemeiner Natur sein oder sich auf bestimmte Webseiten oder bestimmte Zustände einer Webseite beziehen.
  • Eine zusammenfassende Beurteilung über die Prüfungsergebnisse kann gewünscht sein. Eine zusammenfassende Beurteilung ist nicht zu verwechseln mit einer Konformitätserklärung für eine einzelne Webseite. Vielmehr vermittelt die Zusammenfassung den Gesamteindruck der Prüfung und sollte mindestens das Datum, die zugrunde gelegte Richtlinie (in der Regel die WCAG 2.1), die angestrebte Konformitätsstufe (in der Regel Konformitätsstufe AA), den Umfang des geprüften Webauftritts, die für die Konformität eingesetzten Techniken und die vorausgesetzten Browser- und Assistenztechnologie-Vversionen angeben.
  • Die Vergabe einer numerischen Bewertung für die Barrierefreiheit eines Webauftritts oder einzelner Webseiten gehört ebenfalls zu den optionalen Komponenten eines Gutachtens. In der WCAG-EM wird kein Bewertungsschema geboten, sondern darauf hingewiesen, dass eine numerische Bewertung der Barrierefreiheit weder Zuverlässigkeit noch Genauigkeit noch Praktibilität bietet. Jedes Verfahren, das eine solche Bewertung für die Barrierefreiheit liefert, wird einen unangemessenen Eindruck der tatsächlichen Barrierefreiheit vermitteln. Weitere Informationen hierzu liefert der Extern, englischsprachig: Research Report on Web Accessibility Metrics.
  • In der WCAG-EM wird schließlich darauf hingewiesen, dass die Gutachten maschinenlesbar aufbereitet werden können. Zukünftig wird das zum Beispiel mit Extern, englischsprachig: Evaluation and Report Language (EARL) 1.0 möglich sein.