Barrierefreies Webdesign ein zugängliches und nutzbares Internet gestalten

Mythos "Textversion" veröffentlicht in 2009

Textversion

Im Jahre 1999 hat die Web Accessibility Initiative (WAI), die sich mit der Barrierefreiheit in allen Webstandards des W3C befasst, umfangreiche Richtlinien für die Gestaltung von Webseiten veröffentlicht. Diese Richtlinien (Web Content Accessibility Guidelines 1.0) wurden als Grundlage für das am 1. Mai 2002 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) in Deutschland, das in § 11 das Recht behinderter Menschen auf uneingeschränkten und gleichberechtigten Zugang zu elektronischen Informationsangeboten festlegt, verwendet.

Stellenwert in den Richtlinien

In der Begründung zur Rechtsverordnung zum § 11 BGG, der Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung (BITV), steht u.a.:

"Die Erstellung eines Internetangebots, dass für alle Benutzergruppen gleichermaßen uneingeschränkt nutzbar ist, hat Vorrang insbesondere vor einer nicht wünschenswerten "Nur-Text-Lösung" als Alternative zum eigentlichen Internetangebot."

Während in den Richtlinien aus 1999, resp. der BITV von 2002, die "alternative Version" etwas missverständlich als Anforderung unter bestimmten Voraussetzungen formuliert wurde, wird in den in 2008 veröffentlichten Extern: Web Content Accessibility Guidelines 2.0 (WCAG20) die "Textversion" gar nicht mehr als Anforderung formuliert.

Unter den Bedingungen zur Erreichung einer zur WCAG 2.0 konformen Seite wird aber festgelegt, dass eine (in der WCAG 2.0 definierte) Konformitätsstufe nur dann erreicht werden kann, wenn entweder eine Seite

Das große Missverständnis

Viele Webanbieter sind der Ansicht, dass eine parallele Version eines Webauftritts, die keine Bilder enthält und als "Textversion" tituliert wird, ausreiche, um den Anforderungen der Barrierefreiheit zu genügen. Solch parallele Versionen von Webauftritten werden gelegentlich als "barrierefreie Version" oder sonst wie umschrieben.

Die Alibifunktion von "Textversionen"

Solche Seiten sind meistens nur aus Sicht der Öffentlichkeitsarbeit zu bewerten: Die Anbieter der Webauftritte wollen oder müssen ihre Webauftritte für die Allgemeinheit zugänglich und nutzbar machen, können und wollen nichts an der Technik oder Gestaltung ändern. In den allermeisten Fällen sind die Textversionen nicht mehr und auch nicht weniger barrierefrei als die anderen Fassungen; die "Textversion" ist meistens nur ein Alibi, um die eigene Extern: Inkompetenz zu kaschieren.

Wie kommen "Webdesigner" eigentlich dazu, eine "Textversion" als "barrierefrei" zu kommunizieren? Die Motivation für die Berücksichtigung der doppelten Inhalte waren immer die "Blinden" und die Barrierefreiheit drückte sich für die "Webdesigner" in der "Textversion" aus, weil blinde Nutzer Bilder nicht sehen können.

Dies ist überhaupt eine der falschen Vorstellungen von Barrierefreiheit. Es geht zwar auch um Blinde, aber Barrierefreiheit umfasst einen deutlich höheren Anteil der Nutzer als "die Blinden". Dass die allermeisten Menschen mit Behinderungen sich nicht mit einer Textversion abspeisen lassen, ist hoffentlich genauso klar wie die Tatsache, dass ein Webdesigner den korrekten und sinnvollen Einsatz von Webstandards beherrschen muss. Letztlich geht es bei der Barrierefreiheit darum, dass ein großer Teil der 750 Millionen Behinderten weltweit auch Dienstleistungen in Anspruch nehmen, sei es für sich oder für andere.

Problematische Aspekte von Textversionen für den Anbieter

Die Erstellung von "Textversionen", gerade wenn es um die Aktualisierung geht, klingt nach viel Arbeit. Natürlich, wenn die "Textversion" einfach nur alle Bilder aus dem Text rausschmeißt, oder wenn ein paar optimierte Seiten vom vorletzten Relaunch ohne Bilder angeboten werden, ist die Textversion nicht aufwendig; sie ist dann aber auch nichts wert. Es gibt meistens zwei Probleme mit Textversionen:

  1. Zustand und Qualität beeinflussen die Parallelversion oder können eine Alternativversion überflüssig machen: Um Barrierefreiheit für blinde Nutzer zu erzeugen, benötigen Inhalte eine Struktur oder Bilder einen Alternativtext. Wenn das "Original" solche Dinge berücksichtigt, ist die Textversion nicht erforderlich, und wenn das Original solche Aspekte nicht berücksichtigt, dann werden sie auch nicht in der Textversion zu finden sein, denn die Inhalte der parallelen Webauftritte werden in der Regel aus der gleichen Datenbank gespeist.
  2. Mehrere Versionen bedeuten mehr Arbeit: Und wenn die Inhalte der Zweitversion doch einen anderen strukturellen Aufbau und weitere Aspekte der Barrierefreiheit berücksichtigen, so muss diese Version parallel zum Original gepflegt werden, d.h. wenn Inhalte online gestellt werden, müssen sie zweimal bearbeitet werden.

Da Textversionen in der Regel nicht so umfangreich oder oft nicht so schön sind wie die Erstfassung, werden sie von Menschen mit Behinderungen ebenso wenig genutzt wie von Menschen ohne Behinderung. Der geringere Mehrwert führt dazu, dass die Inhalte nicht weiter gepflegt werden und die Textversion ist nicht mehr aktuell.

Abgesehen davon, dass die Textversion dazu führt, dass der Webauftritt keiner Konformitätsstufe der Barrierefreiheit mehr entspricht, erkennen die Nutzer so etwas natürlich auch und vermeiden zukünftig solche Alibi-Seiten.

Warum werden also Textversionen angeboten?

Nun, der eine Grund ist kommunikativer Natur: Anbieter von Webauftritten wollen der allgemeinen Öffentlichkeit signalisieren, dass sie etwas für eine gesellschaftlich benachteiligte Gruppe von Menschen tun.

Die einen, die sich nicht mit barrierefreiem Webdesign beschäftigen, nehmen das zur Kenntnis oder auch nicht, aber "wichtig" ist die Information nicht. Die anderen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, benötigen nicht die Erfüllung aller Kriterien der Barrierefreiheit; zumindest spielt die Textversion keine Rolle für ihren Zugang. Die "Textversion" ist nur für den Anbieter selbst interessant, indem er von der fehlenden Barrierefreiheit abzulenken versucht.

Der zweite Grund für die Berücksichtigung einer Textversion ist in der Antike des Webs zu finden: Als in den Browserkriegen zwischen Netscape und Microsoft in den 1990er Frames zum Layout eingeführt wurden, gab es eine kurze Zeit, wo blinde Nutzer nicht damit umgehen konnten.

Auf ein Wort zu Frames

Screenreader für grafische Oberflächen wurden erst Ende der 1990er entwickelt. Bis dahin mussten blinde Nutzer auf textorientierten Betriebssystemen wie DOS arbeiten und entsprechend wurde damals auch mit einem Textbrowser gearbeitet. Textbrowser haben erst gegen 1998 Frames unterstützt und bis zu dem Zeitpunkt war es tatsächlich erforderlich, Textversionen für Frames-basierte Layouts anzubieten.

Eine Auflistung von Frames mit den jeweiligen Frames-Titeln Frames-Darstellung im Textbrowser "Lynx"

Die Abbildung lässt schon vermuten, welche Schwierigkeiten Frames geboten haben. Mit einem Textbrowser wurden die einzelnen Frames als Links dargestellt. Der Nutzer kann diese Links wie gewohnt auswählen, jedoch wird immer nur ein Frame angezeigt. Daher ist es immer noch umständlich, Frames-basierte Seiten mit einem Textbrowser zu bedienen.

Schon Ende der 1990er wurden die Screenreader aber Windows-tauglich und seitdem wird auf die grafischen Oberflächen der Betriebssysteme gesetzt. Es war beispielsweise schon mit dem Internet Explorer 4 möglich, mit einem Windows-basierten Screenreader zu arbeiten. Obwohl nicht alle Screenreader direkt mit Browsern arbeiten, gibt es kostenfreie Brückenanwendungen (sog. Webreader), wie den Extern, englischsprachig: Webformator, die als Plug-In für Browser eingesetzt werden. Probleme mit Frames gibt es dabei schon lange nicht mehr.

Das Erfordernis nach Textversionen ist heute nicht mehr gegeben, weil sowohl Textbrowser als auch Webreader Frames unterstützen. Allerdings sind Frames in Textbrowsern nur schwer zu nutzen; hingegen bieten Screen- und Webreader ausgereifte Funktionen zur Nutzung von Frames.

Dennoch ist das kein "Freischein", Frame-Layouts zu gestalten und diese als "barrierefrei" zu bezeichnen. Frames sind aus Sicht von Webstandards nicht zur Präsentation geeignet, sondern haben einen funktionellen Charakter, der im Einzelfall zur Geltung kommen kann, etwa bei der Einbindung einer Hilfe-Funktion oder von Inhalten eines anderen Webauftritts.

Weitere Links

Im Folgenden finden Sie einige Links, die weiterführende Informationen zum Thema "alternative Version" bieten: