Barrierefreies Webdesign ein zugängliches und nutzbares Internet gestalten

Lesen, was drinsteht — rausholen, was drinsteckt: Wie blinde Computernutzer sich PDF-Dokumente zugänglich machen geschrieben von Oliver Nadig (2005)

Dieser Beitrag wurde von Oliver Nadig in Oktober 2005 verfasst. Die vorliegende Fassung ist die Version 1.02 vom 25.1.2006.

6.4 Zur fertigen PDF-Datei auf tausend (Irr)wegen

"Ich erwähnte bereits in Abschnitt 1 die folgenden Tatsachen:

"Richtig: Sie hatten mir sechs Merkmale genannt, in denen sich barrierefreie von unzugänglichen PDF-Dokumenten unterscheiden:

  1. Text, der in buchstaben- und nicht in Grafikform vorliegt,
  2. Vorhandensein von Tags,
  3. Vorhandensein einer Dokumentgliederung mittels Querverweisen,
  4. Sicherheitseinstellungen, die den Zugriff des Screenreaders auf Dokumentinhalte nicht verhindern,
  5. Vorhandensein eines korrekten Umfließverhaltens, wenn das Dokument vergrößert dargestellt wird und
  6. Verwendung unproblematischer Zeichensätze."

"Genau! In diesem Abschnitt möchte ich zwei Dinge tun:

  1. Im Unterabschnitt 6.4.1 möchte ich ein paar Worte darüber verlieren, auf welchen Wegen Autoren zu einem barrierefreien PDF-Dokument gelangen können, indem Sie für uns Screenreader-Benutzer ungünstige Wege der PDF-Erstellung vermeiden.
  2. Mit der Erzeugung eines PDF-Dokumentes ist es oft noch nicht getan. Im Unterabschnitt 6.4.2 gehe ich deshalb auf die Aspekte der Nachbearbeitung einer bestehenden PDF-Datei zur Optimierung der Zugänglichkeit ein."

6.4.1 Vom Autorenprogramm zur möglichst zugänglichen PDF-Datei

"Das Quelldokument, das später zu einer PDF-Datei gemacht wird, entsteht in einem Autorenprogramm. Als Autorenprogramm kommt heutzutage fast jede Software in Frage, weil es entsprechende Druckertreiber gibt, die PDF-Dateien erzeugen können. Wie diese Druckertreiber zu bewerten sind, stelle ich weiter unten ausführlich dar. Da sich aber einige Produkte mehr als andere als Autorenprogramm eignen, möchte ich die potentiellen Kandidaten in Gruppen einteilen:

Die tausend Möglichkeiten, von einem Autorenprogramm zu einer PDF-Datei zu gelangen, lassen sich wie folgt einteilen:

  1. Einsatz eines PDF-Druckertreibers:
    Das im Autorenprogramm erstellte Quelldokument wird mit Hilfe eines speziellen Druckertreibers direkt in PDF umgewandelt. Ein solcher Druckertreiber ist beispielsweise der in A.A. integrierte Treiber 'Adobe PDF'. Druckertreiber erzeugen in der Regel äußerst unzugängliche PDF-Dateien, da sie die im Quelldokument vorhandenen Strukturmerkmale nicht in Tags und die Gliederungsmerkmale nicht in Lesezeichen oder Querverweise verwandeln.
  2. Einsatz eines sogenannten Distillers:
    Distiller sind Programme, die PDF-Dokumente nicht direkt aus dem Format der Quelldatei, sondern aus einem 'Zwischenformat' erzeugen. Bei dem Zwischenformat handelt es sich um 'PostScript'. PostScript ist ein nicht für Bildschirme, sondern für Drucker gedachtes Dateiformat. PDF ist eine direkte Weiterentwicklung von PostScript. Distiller erstellen also zunächst eine – für den Benutzer meist unsichtbare – PostScript-Datei und daraus dann das PDF-Dokument. Indem der Distiller die PostScript-Datei mit sogenannten PDFMarks versieht, können Strukturmerkmale des Quelldokuments in 'getaggtes' PDF und Gliederungsmerkmale in Lesezeichen und Querverweise überführt werden. Werden Distiller also intelligent eingesetzt, lassen sich aus Quelldokumenten sehr zugängliche PDF-Dateien erstellen. Der am besten hierfür geeignete Distiller ist der Adobe Acrobat Distiller, der – wie der allerdings ungeeignete Druckertreiber 'Adobe PDF' zusammen mit dem A.A. ausgeliefert wird. Benutzern der Microsoft Office-Programme Word, Excel, PowerPoint und – ab A.A.7 auch Outlook – wird der Einsatz des Adobe Acrobat Distillers besonders schmackhaft gemacht: Zusammen mit A.A. installiert sich eine Makrosammlung namens PDFMaker in die vier genannten Office-Programme. Der PDFMaker bereichert die Office-Programme um eine neue Symbolleiste und ein zusätzliches Menü namens 'Adobe PDF'. Mit Hilfe dieser neuen Bedienelemente kann der Autor die zahlreichen Einstellungen des Adobe Acrobat Distillers bequem steuern und so ohne große Mühe unter Einsatz des PDFMakers seine Word, Excel- PowerPoint- und Outlook-Inhalte ohne viel Aufwand in barrierefreie PDF-Dokumente umwandeln. Dazu wird der Menüpunkt 'Adobe PDF | In Adobe PDF konvertieren' aus der entsprechenden Office-Anwendung heraus aufgerufen. Möchten Sie dieses Thema vertiefen, so beachten Sie die Literaturhinweise [4]und [7]. Übrigens:
    • Auch das Programm AFPL GhostScript ist ein Distiller, was schon die Namensähnlichkeit von 'GhostScript' und 'PostScript' nahe legt. Leider sind die mit Hilfe des kostenlosen AFPL GhostScript hergestellten PDF-Dateien nicht ganz so barrierefrei wie diejenigen des teuren PDFMakers.
    • Arbeiten Sie nie direkt mit der Oberfläche des Adobe Acrobat Distillers! Nutzen Sie das Programm nur indirekt durch Verwendung von Makrosammlungen wie PDFMaker. Nur so werden dem Distiller automatisch die nötigen PDFMarks zugeleitet, aus denen die Tags und die Gliederung des entstehenden PDF-Dokumentes gebildet werden.
  3. Einsatz kostenloser Programme, die aber meist nichts Anderes darstellen als grafische Benutzeroberflächen für den Distiller GhostScript. Aus diesem Grund sind sie dem kostenpflichtigen Duo PDFMaker/Adobe Acrobat Distillers im Erzeugen barrierefreier PDF-Dokumente unterlegen. Ein Beispiel für eine derartige kostenlose Programmoberfläche ist 'WordToPDF'.
  4. Einsatz kostenloser Open Source-Textverarbeitungsprogramme wie OpenOffice ab Version 1.1.1. Das Programm unterstützt die direkte Erzeugung von PDF-Dateien aus OpenOffice-Quelldokumenten. Die Barrierefreiheit des von der Programmversion 1.1.1 gelieferten PDFs lässt leider noch einige Wünsche offen, dramatische Verbesserungen kündigen sich bereits für die Version 2 an.
  5. Einsatz kostenpflichtiger Programme, die sich als Konkurrenzprodukte zu A.A. verstehen, meist aber sehr viel preisgünstiger sind. Als Beispiele wären zu nennen:
    1. Der 'JAWS PDF Creator', der nicht mit dem Screenreader 'JAWS' zu verwechseln ist,
    2. 'PowerPDF',
    3. 'S.A.D.K. PDF Xchange Pro',
    4. 'PDF Machine',
    5. 'PDF Studio',
    6. 'PDF Genie'.
    Aus Sicht der Barrierefreiheit kann lediglich der JAWS PDF Creator empfohlen werden.
  6. DTP- und Grafikprogramme, die nicht aus dem Hause Adobe stammen:
    Hier sind vor allem die Produkte 'QuarkXPress', Programme der Firma Macromedia sowie 'Corel Draw' zu nennen. Die PDF-Konvertierungsfunktionen dieser Produkte müssen aus der Sicht der Barrierefreiheit als nahezu unbrauchbar bezeichnet werden.
  7. DTP- und Grafikprogramme aus dem Hause Adobe:
    Obwohl sie stolze Preise haben, sind vor allem die DTP-Programme von Adobe Systems besonders gut zur Erstellung barrierefreier PDF-Dokumente geeignet. Hierbei sind zu nennen:
    1. 'Adobe FrameMaker' oder 'Adobe PageMaker' ab Version 6.0 zur Erstellung von Textdokumenten,
    2. 'Adobe Designer', 'Adobe GoLive' oder 'Adobe LiveCycle Designer' zur Erstellung von Formularen und
    3. 'Adobe InDesign' ab Version 2.0 zur Erstellung von Broschüren.
    Bereits die Quelldokumente werden mit programmspezifischen Tags ausgestattet. Öffnet man die daraus hergestellten PDF-Dokumente in A.A., werden die autorenprogrammspezifischen Tags in Tags des A.A. umgewandelt. Danach lässt sich die Tag-Struktur bearbeiten (siehe hierzu den folgenden Unterabschnitt 6.4.2)."

Zusammenfassung von Unterabschnitt 6.4.1

6.4.2 PDF-Dokumente im Sinne der Barrierefreiheit nachbearbeiten

"Selbst die unter dem Aspekt der Zugänglichkeit am Besten geeigneten Autorenprogramme, erzeugen PDF-Dokumente, die in der Regel nachbearbeitet werden müssen. Autorenprogramme sind nämlich nicht perfekt darin, die logische Dokumentstruktur angemessen in einem Tag-Baum nach zu bilden. Zwei Grundsätze sollten beim Erstellen und Nachbearbeiten eines PDF-Dokumentes stets beachtet werden:

  1. Gliederung und Strukturierung sollten so weit wie möglich bereits im Quelldokument vorgenommen werden. Grund: Änderungen, die man nachträglich in der aus dem Quelldokument gewonnenen PDF-Datei vornimmt, lassen sich nicht ins Quelldokument rückübertragen. Wer beispielsweise die nach PDF gewandelte erste Version eines Quelldokumentes fünf Stunden lang nachbearbeitet und dann feststellt, dass im Quelldokument noch Änderungen vorgenommen werden müssen, darf mit der Nachbearbeitung von vorn beginnen.
  2. Zur Nachbearbeitung sollte unbedingt entweder A.A.6 oder A.A.7 benutzt werden.

Im Gegensatz zur Version 5 von Adobe Acrobat, bieten die Professional-Editionen der Sechser- und Siebenerversionen folgenden Vorteil: In A.A.5 mussten zwei wichtige Nachbearbeitungswerkzeuge nachträglich beschafft werden. Dabei handelte es sich:

  1. Um 'Make Accessible', ein Modul zur Zugänglichkeitsprüfung von PDF-Dokumenten im Sinne der Barrierefreiheit und
  2. um 'Paper Capture', ein Modul, das mit PDF-Dokumenten, die über einen Scanner erfasst wurden und als Grafik vorliegen, eine Texterkennung durchführt.

Bei einer vollständigen Installation von A.A.6 und A.A.7 sind die genannten Werkzeuge automatisch verfügbar. Im A.A.7 werden sie über folgende Menüpunkte aufgerufen:

Außerdem sind die 'Kinderkrankheiten' beim Setzen und Bearbeiten von Tags in den Versionen A.A.6 und A.A.7 weitgehend behoben.

Zur Erstellung barrierefreier Formulare wird nach wie vor ein Programm namens 'Adobe PDF Forms Access' empfohlen. Diese Software kann entweder als eigenständiges Produkt oder als Bestandteil des 'Adobe Acrobat Capture 3.0 Agent Pack' erworben werden."

"Wie geht man beim Nachbearbeiten grundsätzlich vor?"

"Folgende Schritte sind dazu erforderlich:

  1. Das aus der Quelldatei entstandene PDF-Dokument wird in A.A. geöffnet.
  2. In A.A.7 beispielsweise lässt man sich nun durch Einblenden der Navigationsregisterkarte 'Tags' den momentan existierenden Tag-Baum anzeigen.
  3. Mit Hilfe verschiedener Werkzeuge von A.A., auf die ich hier nicht näher eingehe, kann der Tag-Baum bearbeitet werden. Dies kann bedeuten, dass neue Tags oder sogar neue Tag-Baum-Ebenen angelegt, bestehende Tags in oder zwischen Tag-Baum-Ebenen verschoben oder sogar überflüssige Tags gelöscht werden.
  4. Die ausführliche Zugänglichkeitsprüfung hilft, vorhandene Unzulänglichkeiten zu erkennen. Als ultimatives Testkriterium sollten PDF-Autoren natürlich das Dokument bei ausgeschaltetem Bildschirm mit Hilfe eines Screenreaders zu lesen versuchen und nachprüfen, ob bei der Dokumentumwandlung ins Textformat alle Inhalte erhalten bleiben und in der richtigen Lesereihenfolge stehen.

Dies waren nur Grobinformationen. Details finden Sie in den unter Weiterführende Literaturhinweise aufgeführten Publikationen [1], [2], [3] und [4]."