Barrierefreies Webdesign ein zugängliches und nutzbares Internet gestalten

Das Internet hören und fühlen geschrieben von Niki Slawinski (2005)

Gruppeninterviews

Forschungsfrage, Forschungsmethode, Auswahl der Befragten

In Kapitel "GS/GO-Modell angewendet auf die Internetnutzung der Blinden" habe ich das erweiterte GS/GO-Modell auf die Internetnutzung blinder Schüler angewendet. Die empirische Studie soll helfen, die dort aufgeführten Aspekte in Relation zu bringen und die tatsächliche Bedeutung der Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung, die ich im Kapitel "Vorgaben für barrierefreies Webdesign (BITV)" erläutert habe, beurteilen zu können. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Was machen blinde Schüler mit dem Internet? Außerdem: Welche Bedürfnisse möchten und können sie über dieses Medium befriedigen? Wo tauchen Schwierigkeiten auf, wie werden diese von den blinden Schülern gelöst und welche Rolle spielen die Anforderungen der BITV dabei?

Ich möchte in Soest Gruppeninterviews führen, um - trotz der Kürze der Zeit - möglichst alle Punkte der BITV durchzugehen und möglichst alle Befragten zu Wort kommen zu lassen, damit ich ein umfassendes Bild erhalte. Der teilstrukturierte Ablauf soll Möglichkeiten der eigenen Gesprächsübernahme und Themensetzung bieten. Die ersten Fragen sind allgemein gehalten, um die Befragten am Anfang thematisch nicht zu beeinflussen.

Um eine Gruppe von blinden Schülern antreffen zu können, wendete ich mich an die von-Vincke-Schule - Westfälische Schule für Blinde und Sehbehinderte Soest. Neben einer Grund- und Hauptschule findet sich hier seit dem Schuljahr 2004/2005 auch ein Realschulzweig (vgl. Extern: von-vincke-schule-soest.de, 15.11.05,. Blinde und Sehbehinderte erhalten hier pädagogische Frühförderung und weitere spezielle Beratung und Kurse, die auf dem Weg zur Selbständigkeit helfen.

In der von-Vincke-Schule lernen blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche nicht nur all das, was Gleichaltrige an allgemeinen Schulen lernen: Hier lernen die Schülerinnen und Schüler auch spezielle Techniken und Fertigkeiten für Blinde und Sehbehinderte (vgl. Extern: von-vincke-schule-soest.de, 15.11.05,.

Die Schüler des Realschulzweiges kommen aus ganz Nordrhein-Westfalen. Diese Jugendlichen haben die Möglichkeit, während der Schulwochen - von Sonntagabends bis Freitagmittags - im Westfälischen Schülerinternat Soest zu wohnen (vgl. Extern: von-vincke-schule-soest.de, 15.11.05,.

Ich nahm Kontakt mit der Schule auf. Mit großem Engagement unterstützte der stellvertretende Schulleiter Andreas Liebald das Forschungsvorhaben und sicherte mir Termine für zwei Gruppeninterviews zu. Für die Auswahl der Schüler nannte ich ein wichtiges Kriterium: Die Schüler sollten bereits Erfahrungen mit dem Internet besitzen. Des Weiteren teilte ich mit, dass die Anzahl von fünf Schülern je Gruppeninterview sinnvoll wären. Unter Berücksichtigung dieses Kriteriums organisierte Herr Liebald Teilnehmer für die Gruppeninterviews.

Interviewleitfaden

Den Interviewleitfaden teilte ich in vier Fragenblöcke auf.

Im ersten Block stellen sich die Teilnehmer mit Name, Alter, Schulklasse und Art der Erblindung vor.

Fragen zum Internetnutzungsverhalten sind Thema des zweiten Blocks. Ich möchte wissen, seit wann und wie oft die Schüler im Internet surfen und welche Gratifikationen sie im Internet suchen bzw. erhalten.

Im dritten Block versuche ich mit zunächst vage gehaltenen Fragen herauszufinden, ob Probleme beim Surfen auftauchen und falls ja, welche. Innerhalb dieser Fragen möchte ich die Teilnehmer noch möglichst wenig beeinflussen und versuche, die Fragen möglichst allgemein zu halten und wenig Begriffe vorzugeben.

Erst im letzten Block liste ich ausgewählte Punkte der BITV auf, die ich systematisch durchgehen möchte. Im besten Fall werden manche Punkte bereits im dritten Block von den Teilnehmern selbst angesprochen. Im letzten Teil geht es also vor allem darum, noch nicht thematisierte Aspekte zu berücksichtigen.

Pro Interview sind 45 Minuten eingeplant. Die beiden Interviews finden am selben Tag statt.

Zusammenfassung des Gruppeninterviews 1 (5 Schüler, Soest)

In der Vorstellungsrunde nennen die Interviewteilnehmer ihren Namen, ihr Alter und den Zeitpunkt und die Art der Sehschädigung. Die Teilnehmer (die Namen sind anonymisiert):

Nach der Vorstellungsrunde folgen Fragen zum Internetnutzungsverhalten. Ich frage zunächst danach, wie der Einstieg ins Internet war und wie oft die Schüler surfen. Tina sei erst in der Schule, vor ungefähr zwei Jahren, zum Internetsurfen gekommen, erzählt sie. Sie surfe nur im Rahmen des Unterrrichts und etwa zwei Mal im Monat. Erkan habe vier Mal im Monat Informatik-Unterricht und im Rahmen dessen Zeit im Internet zu surfen. Mustafa habe seinen Einstieg vor drei bis vier Jahren gehabt, aber erst seit wenigen Monaten beherrsche er Tastenkombinationen, so dass er sich erst seitdem auch zu anderen Seiten weiterklicken könne. Das Erlernen der Tastenkombinationen, so Mustafa auf Nachfrage, sei am Anfang das Hauptproblem gewesen (Zeile 91). Mustafa habe eine Braillezeile und zwei Computer zu Hause und nutze zurzeit den Screenreader Jaws zum Vorlesen. Julia habe vor drei Jahren einen eigenen Laptop erhalten und arbeite seitdem, auch in der Schule, mit dem Computer und surfe seit einem Jahr im Internet. Sie nutze die Braillezeile, habe aber auch lange mit der Sprachausgabe gearbeitet. Boris ist seit anderthalb Jahren im Internet, könne aber erst seit wenigen Monaten alleine surfen. Er habe vier Mal im Monat Informatikunterricht und nutze auch die Mittagspausen, um sich im Internet zu bewegen.

Als nächstes frage ich die Schüler reihum, wofür sie das Internet nutzen würden. Boris schreibe ab und zu E-Mails. Das Weiterklicken zu anderen Seiten stelle allerdings noch eine große Hürde dar, so dass er das Internet noch nicht dazu nutze, um zu Hobbythemen zu recherchieren. Julia hingegen nutze das Internet sehr intensiv zu privaten Zwecken und surfe auf Star- und Musikseiten. Musik runterladen könne sie leider nicht, da der Internetanschluss zu langsam sei. Julia nutze die Suchmaschine Google für Recherchen, auch bei Hausaufgaben, und schreibe regelmäßig E-Mails. Einkäufe würde sie nicht tätigen, da sie Angst habe, im Internet "übers Ohr gehauen zu werden". Mustafa schreibe auch gerne E-Mails. Auch er habe mit Online-Shopping noch keine Erfahrung gemacht, das müsse er sich erst noch zeigen lassen, wie das geht. Erkan habe zu Hause noch keinen Internetzugang, surfe aber in der Schule. Er nutze das Internet für Recherchen und in der Freizeit für Hobbythemen. Mit E-Mails könne er noch nicht so gut umgehen. Online-Shopping komme für ihn nicht infrage, da er Produkte lieber im Laden "abfühlen" wolle, bevor er sie kaufe. Als letzte frage ich Tina, wofür sie das Internet nutze. Tina könne mit dem Internet "eigentlich gar nicht so richtig umgehen". Sie surfe eher dann, wenn sie es für die Schule machen müsse. Wenn sie mit dem Internet besser umgehen kann, werde sie auch privat surfen und E-Mails schreiben. Einkaufen würde sie aber - aus Sicherheitsgründen - nicht.

Ich vertiefe durch Nachfragen die Problematik der Tastenkombinationen. Tina bestätigt, dass das Erlernen der Tastaturbefehle die erste Schwierigkeit darstelle. Diese müsse man erstmal erlernen, um überhaupt vorwärts zu kommen. Erkan gibt auf Nachfrage an, dass er "erstmal gar nicht ins Internet rein" gekommen wäre. Als er versucht habe, eine Adresse einzugeben, sei er "irgendwie durcheinander" und "irgendwie" aus dem Internet raus gekommen. Für Erkan sei es wichtig gewesen, dass ihm das Internet erklärt wurde, so dass er es sich bildlich vorstellen konnte. Mustafa erzählt, als er an der Reihe ist, dass er zwar seit vier Jahren einen PC habe, aber damit bisher nur Texte geschrieben habe. Erst, als er in die Schule in Soest gekommen wäre, konnte er "besser im Internet rumsurfen". Auch Mustafa bestätigt, dass man ohne Tastaturbefehle den PC kaum nutzen könne. Man müsse "einfach nur pauken", um sie zu erlernen. Julia empfand es als nicht so schwierig, die Tastaturbefehle zu erlernen, da sie schon vor der Internetnutzung lange mit dem PC gearbeitet habe. Letztes Jahr habe sie in der Schule den Einstieg geschafft und sich den Rest "selbst zusammen gewürfelt". Sie sei der Meinung, dass es bei jedem Nutzer eine andere große Hürde am Anfang geben würde. Das würde auch davon abhängen, ob jemand von Geburt an blind ist oder sehbehindert wird und dann erst die Brailleschrift und die Tastaturbefehle erlernen müsse. Sie kenne hochgradig Sehbehinderte, denen der Umstieg von der Maus zur Tastatur schwer fallen würde.

Bei der Frage, ob die Schüler vor allem die Braillezeile nutzen würden, meinen Erkan, Tina und Mustafa, dass sie in der Schule, aufgrund der Lärmvermeidung, vor allem die Braillezeile und zu Hause die Sprachausgabe nutzen würden. Erkan ergänzt, dass man auch Kopfhörer in die Schule mitbringen könne, und dass er für das Schreiben von Texten die Sprachausgabe hilfreicher fände als die Braillezeile. Mustafa widerspricht dem, da die Sprachausgabe seiner Meinung nach manche Zeichen nicht vorlesen würde. Julia benutze die Sprachausgabe nicht mehr so oft, aber für Anfänger sei diese sehr hilfreich, denn die Braillezeile würde innerhalb eines Programms manche "Dinge" nicht anzeigen.

Das Thema "Internetnutzung" schloss ich mit der Frage ab, ob das Internet irgendwelche Lücken geschlossen oder einfach nur andere Technologien ausgetauscht habe. Diese Frage stelle ich nur Julia, da ich merke, nur bei ihr besteht aufgrund ihrer Interneterfahrung eine Chance, dass das Internet in ihrem Leben einen hohen Stellenwert eingenommen hat. Julia finde nicht, dass das Internet nur andere Technologien ausgetauscht habe. Sie würde durch das Internet viel mehr Informationen als vorher erhalten, zum Beispiel hätte sie früher Nachrichten nicht lesen können. Sie merkt an, dass bei E-Mails die ganze "Spamgeschichte" nervig sei.

Ich möchte wissen, welche Internetseite gut zu bedienen sei und stelle die Frage als erstes Boris. Ihm fällt direkt die Seite der Firma "Baum" ein, welche Blinden-Hilfsmittel verkauft. Sonst fällt niemandem spontan eine Internetseite ein, die als gutes Beispiel genannt werden könne. Als ich konkret frage, wie es mit Google stehe, waren sich die Schüler nicht einig.

Aus zwei Gründen entscheide ich mich, manche Fragen des Interview-Leitfadens aus dem Bereich "Bedürfnisse und Probleme" auszulassen und nun konkret einige Punkte der BITV durchzugehen. Zum Einen ist die Zeit schon recht voran geschritten und zum anderen habe ich das Gefühl, dass ich bereits einen guten Eindruck über die Bedürfnisse und allgemeinen Probleme erhalten habe.

Ich gehe also Punkte der BITV durch. Als erstes frage ich nach Problemen mit ALT-Texten bei Grafiken. Bei dem Stichwort nickt Julia sofort mit dem Kopf und meint, dass sie sich die Grafiken weg wünsche, da diese nicht angezeigt werden würden. Diese Meinung vertritt sie sehr klar und weicht auch durch Nachfragen nicht davon ab.

Ich frage Julia, ob sie am liebsten auf einer Nur-Text-Version surfen würde. Dies bestätigt sie, bedauert aber, dass es solche ja kaum geben würde. Auch Boris würde eine Nur-Text-Version bevorzugen, merkt aber auch an, dass andere Nutzer die Bilder benötigen würden. Mustafa ist ebenfalls der Meinung, dass sie als Nicht-Sehende keine Grafiken, sondern nur den "Text auf weißem Hintergrund" brauchen würden. Boris ergänzt, dass es hilfreich wäre, wenn am Ende des Textes erwähnt werden würde, wo im Text Bilder eingefügt und Wörter fett markiert sind, damit man dies bei einem Referat berücksichtigen könnte.

Automatische Weiterleitungen, so Julia auf Nachfrage, seien problematisch, wenn man nicht darauf vorbereitet sei, allerdings tauche dieses Problem nicht häufig auf.

Mit den Begriffen "PDF", "PDF-Datei", "Acrobat Reader" und "Adobe Reader" kann kein Schüler etwas anfangen, wodurch keiner sagen kann, ob es mit diesem Datei-Format Probleme gäbe.

Auch Chats, so mein Eindruck, werden von den Schülern kaum genutzt. Nur Boris geht auf das Thema ein und erzählt, dass er mit der Schnelligkeit des Chats nicht zurecht kommen würde.

In der Schlussrunde erwähnt Erkan einen neuen Aspekt. Er fände eine Art Inhaltsverzeichnis gut, damit man einen besseren Überblick über den Seiteninhalt erhalte.

Zusammenfassung des Gruppeninterviews 2 (5 Schüler, Soest)

In der Vorstellungsrunde nennen die Interviewteilnehmer ihren Namen, ihr Alter und den Zeitpunkt und die Art der Sehschädigung. Die Teilnehmer (die Namen sind anonymisiert):

Nach der Vorstellungsrunde folgen, wie im Interview-Leitfaden vorgesehen, Fragen zum Internetnutzungsverhalten. Ich frage zunächst danach, seit wann der Einzelne im Internet surfe und wofür die Schüler das Internet nutzen würden. Sven erzählt, dass für ihn ein Impuls gewesen wäre, dass seine Familie zu Hause ISDN mit DSL erhalten habe und er dann angefangen habe, privat im Internet zu surfen. Er habe sich das Surfen selbst beigebracht, surfe mit Braillezeile und erstelle auch selbst HTML-Seiten. An dieser Stelle fragt Nils, was HTML "denn schon wieder" bedeuten würde, weil er mit diesem Begriff nichts anfangen könne. Die Teilnehmer erklären es ihm.

Auf Nachfrage erzählt Sven, dass er das Internet für "alles" nutze, auch für das Einkaufen. Zwischendurch betritt Shahira verspätet den Raum. Ich frage Nils, seit wann er im Internet surfe. Nils schätzt die Zeit auf zwei bis drei Jahre ein. Der Einstieg kam durch die Schule, zu Hause habe er selbst keine Internetzugangsmöglichkeit. Aber seine Eltern würden ihm z.B. bei Hausaufgabenrecherchen helfen. Nils schreibe keine E-Mails, v.a. weil er zu Hause keinen Zugang zum Internet besäße. Shahira antwortet auf meine Frage, dass sie seit etwa fünf Jahren im Internet surfe. Auf Nachfrage meint sie, dass sie nicht vollständig blind sei, sondern noch was sehe (Zeile 85). Tom sei seit zwei Jahren im Internet, aber "meist mit Freunden", denn alleine könne er das nicht, da die Braillezeile "viel am Spinnen" sei. Er lade Sachen runter, spiele ein bisschen und schreibe auch. Auf Nachfrage hin bestätigten Shahira und Tom, dass es für sie beide schwieriger sei mit der Braillezeile umzugehen, da sie nicht seit der Geburt an blind seien und deshalb auch die Brailleschrift nicht so gut beherrschen würden.

Sven entgegnet, dass er die Braillezeile eigentlich nur dann nutze, wenn er etwas schreiben müsse und sonst nicht. Ich frage ihn, welchen Screenreader er nutze. Sven verwende den Screenreader Jaws. Philip kommt verspätet rein und setzt sich. Sven erzählt, warum er Jaws besser finde als Virgo. Philip bringt sich sofort ins Gespräch ein und macht deutlich, dass er anderer Meinung als Sven sei. Philip bekundet, dass er "totaler Virgo-Freak" sei. Ich frage Nils, ob er das Internet mit Braillezeile oder mit Sprachausgabe nutze. Meist nutze er die Braillezeile, nur manchmal habe er keine Lust, alles durchzulesen und dann lasse er es sich vorlesen. Aber Nils betont, dass er hauptsächlich mit Word arbeite (und nicht mit dem Internet) und mit dem PC ganz gut klar komme. Ich frage Philip, seit wann er im Internet surfe. Philip sei seit knapp fünf Jahren im Internet. In der fünften Klasse sei Philip auf ein normales Gymnasium gekommen und habe den Umgang mit Computer und Braillezeile erlernen müssen, um dem Unterricht folgen zu können. Auch zu Hause habe er sich mit dem Internet beschäftigt und sich so "hochgearbeitet". Nils wirft an dieser Stelle ein, dass er "nicht so einer" sei, der sich da so wirklich auskenne. Philip wiederum ergänzt, dass er mittlerweile mehr im Internet surfe, als dass er irgendwas anderes mache. Nils bestätigt auf meine Frage hin, dass er meint, dass er eher weniger Erfahrung mit dem Internet habe und immer noch Hilfe benötigen würde, weil er das einfach zu selten tue. Shahira hingegen erwidert, dass sie eigentlich "mehr" Erfahrung habe.

Ich frage Nils, was die größten Probleme für ihn seien. Bei Nils fängt es schon damit an, dass er nicht wisse, wie er ins Internet "reinkommt", wo er eine Adresse angeben könne und wie er sich durch die Links durchwühlen solle. Shahira und Philip kommentierten, dass man sich über den "Shortcut Strg+O" die Links einer Internetseite am besten anzeigen lassen könne.

Philip erzählt von sich aus von der Problematik schlecht bezeichneter Textlinks. So wäre es nicht hilfreich, wenn bei dem Satz "Hier könnt ihr mir mailen" nur "Hier" verlinkt sei, da in der Linkliste dann auch nur "Hier" stehen würde und der blinde Internetnutzer nicht wisse, was mit dem aus dem Kontext gerissenen "Hier" gemeint ist. Ich frage, ob ein Link-Title hilfreich wäre, was Sven mit "Ja" beantwortet. Philip fügt hinzu, dass er die Linkliste selbst selten nutze, sondern meist die Startseite durchlese (Zeile 230-236). Sven wiederum meint, er möge Textlinks mitten im Text nicht, da es für ihn nicht komfortabel sei, diese anzuklicken. Besser seien Links als Menü "oben" auf der Seite, was Philip bestätigt.

Sven weist auf das Problem von langen Informationstextseiten hin, bei denen die Navigationsleiste unten sei. Hier seien Links zum Überspringen des Textes sehr wichtig. Noch besser sei allerdings, so Sven, wenn sich die Navigationsleiste einfach oben befinden würde. Auf der Startseite sollen erstmal nur die wichtigsten Hauptmenüpunkte stehen, über die man sich dann in die Tiefe klicken könne, meinen Sven und Philip. Die Hauptmenüpunkte der Startseiten bräuchten nicht auf jeder Folgeseite wiederholt werden, so Sven. Es müssten auf allen Unterseiten immer nur die wichtigsten Menüpunkte stehen, meint Sven.

Ich greife den Vorschlag aus dem ersten Gruppeninterview auf und frage, was die Anwesenden von einem klickbaren Inhaltsverzeichnis mit Stichworten hielten (Zeile 298). Sven halte so ein Verzeichnis für viel zu kompliziert. Philip, Tom und Shahira signalisieren, dass sie die Idee gut finden würden. Nils ergreift von alleine das Wort und betont nochmal, dass er zu dem Thema nichts sagen könne, da er sich zu wenig mit dem Internet auskenne, weil er zu Hause kein Internet habe. Er spricht darüber, dass seine Eltern meinen würden, es wäre zu teuer, wenn zu Hause speziell für ihn ein Zugang eingerichtet und ihm das beigebracht werden würde. Nils allerdings findet, es solle mal einer kommen und ihm das richtig zeigen, damit er dann wisse, wie er im Internet surfen könne.

Ich frage Tom, der ebenfalls weniger Interneterfahrung besitzt, was für ihn die Hauptprobleme beim Internet seien. Tom findet es schwierig, überhaupt erstmal etwas im Internet zu finden und sich durch tausend Seiten durchzuwühlen.

Ich frage, ob es stimme, dass eine Braillezeile bis zu 20.000 Euro koste. Philip und Tom meinen, es komme auf die Zeile an. Philip erzählt, seine hätte damals ca. 20.000 DM gekostet, sei allerdings von der Krankenkasse bezahlt worden. Sven ist der Meinung, neue Braillezeilen erhalte man schon ab 4.500 Euro, das wiederum kann sich aber Philip nicht vorstellen und widerspricht.

Die Zeit drängt und ich kündige an, dass ich in den letzten zehn Minuten nun ein paar Punkte durchsprechen wolle. Sven äußert sofort, dass er auch ein paar Punkte hätte, die er ansprechen wolle. Ich lasse ihn beginnen. Er zählt den Macromedia Flashplayer und Frames auf, welche ungünstig für Blinde seien. Außerdem spricht Sven das Grafikproblem an, welches "nervt". Diese Meinung findet automatisch Zustimmung von Shahira und Philip. Sie sind der Meinung: "Die Bilder auf den Links müssen weg!". Ich frage nach, ob ALT-Texte (alternative Bildtexte) helfen würden, aber mir wird nur von Sven und Philip entgegnet: "Die (Bilder) müssen weg". Etwas später weise ich darauf hin, dass die Bilder für Sehende wichtig seien und versuche nochmal das Thema "ALT-Texte" zu lancieren, aber mir wird von Sven wieder nur geantwortet, dass man die Bilder "weglassen" solle.

Philip schlägt vor, es solle neben der Grafikversion eine Nur-Text-Version für Blinde geben. Sven befürwortet diesen Vorschlag. Ich frage nach, ob das alle so sehen würden und erkenne nur nickende Köpfe. Philip wiederholt Svens Meinung, dass Flash-Animationen "nerven". Bei Frames ist er allerdings anderer Meinung als Sven und finde Frames manchmal sogar vorteilthaft. Ich unterbreche ihn, da ich noch weitere Punkte gezielt ansprechen möchte. Ich halte fest, dass es zu Frames unterschiedliche Meinungen gebe und frage in die Runde, wie das bei dem Thema "Flash" ist. "Weg, weg, weg, weg", erwidert Sven. Philip erläutert, dass das Warten auf Flashfilme nerven würde, wenn man nicht weiterklicken könne.

Nun möchte ich wissen, wer alles PDFs nutzt. Philip meint sofort "ja, klar" und Shahira "eigentlich schon". Tom hingegen verwende keine PDFs.

Der von mir eingebrachte Begriff "Werbe-PopUps" scheint nicht so ein Reizthema wie Grafiken und Flashfilme zu sein. Shahira meint, sie sehe ja, wenn die PopUps erscheinen. Nils hingegen kann mit dem Begriff nichts anfangen und frage, was PopUps überhaupt bedeuten würde.

Auch die von mir erwähnten Aspekte "andere Sprachen bei der Sprachausgabe" und "Abkürzungen" scheinen im Alltag nicht für große Probleme zu sorgen, dies bekunden zumindest Sven und Shahira.

Nebeneinander stehende Hyperlinks hingegen, die nicht durch ein druckbares Zeichen getrennt seien, seien nach Svens Auffassung ein großes Problem. Philip widerum sagt, dass es für ihn weniger ein Problem sei, da Virgo vor jeden Link automatisch das Wörtchen "Link" setze.

Kurzanalyse der Gruppeninterviews und der Forschungsmethode

Die Interviewgruppen waren heterogen zusammengesetzt. Einige Schüler sind interneterfahren, wie Philip und Sven, andere hingegen haben bisher sehr wenig Erfahrung, wie Nils. Herr Liebald von der von-Vincke-Schule betonte vorher, dass einige Schüler womöglich nicht viel Erfahrung besitzen würden und andere wiederum bekannte "Internet-Freaks" seien.

Wöchentliches Surfen in der Schule scheint nicht zu genügen, um mit dem Internet sicher umgehen zu können. Dies zeigt sich bei beiden Interviews. Diejenigen, die sich damit auch privat beschäftigen, können eher souverän mit Internetseiten umgehen. Für diejenigen, die bisher wenig Erfahrung haben, fangen die Probleme teilweise schon beim Einschalten des Rechners, dem Aufbau der Internetverbindung und dem Umgang mit der Hilfsmittelsoftware über Tastenkombinationen an. Aber auch die erfahrenen Internetnutzer stoßen beim Surfen auf Probleme. Vor allem drei Aspekte scheinen relevant zu sein, denn diese wurden von den Schülern selbst, sehr früh eingebracht und häufig wiederholt und betont: die Wichtigkeit von Nur-Text-Versionen, Grafikbeschriftungen und Flash-Verzicht. Bei den Grafiken herrschte teilweise sogar die Meinung, sie sollen, wie auch Flash, gänzlich weggelassen werden, obwohl sie für Sehende hilfreich sind.

Nach Ablauf der Interviews stelle ich fest, dass ich trotz der teilstandardisierten Strukturierung nicht alle geplanten Punkte ansprechen konnte und durch frühes Nachfragen Themen früh lanciert habe und daher deren Relevanz aus Sicht der Nutzer teilweise nur schwer einschätzen kann. Auch wenn ich versucht habe, die Fragen vage zu halten, habe ich im Rückblick die Reihenfolge der Themen und die Intensität ihrer Behandlung eventuell sehr beeinflusst.

Weiterhin konnte ich bei den Interviews, trotz des Versuchs reihum zu gehen, nicht verhindern, dass manche Gesprächsteilnehmer häufig das Wort ergriffen und andere sich zurückzogen (siehe Tabellen).

Gruppeninterview 1
  Boris Julia Mustafa Erkan Tina Interviewer
Redesequenzen 20 33 21 16 20 73
Gruppeninterview 2
  Sven Nils Philip Shahira Tom Interviewer
Redesequenzen 55 20 44 17 15 65

Abb. 08: Verteilung der Redesequenzen bei den Gruppeninterviews in Soest. Beim zweiten Gruppeninterview sind die Anteile der Redesequenzen sehr unausgeglichen. Sven und Philip, die interneterfahren sind, kommen besonders häufig zu Wort.

Bei dem ersten Interview waren die Redesequenzen recht ausgeglichen. Julia, die interneterfahrenste Schülerin der Gruppe, kam am häufigsten zu Wort. Bei dem zweiten Interview ist der Unterschied noch deutlicher: Sven und Philip äußerten sich zusammengezählt doppelt so häufig wie alle drei anderen Schüler zusammen. Allerdings meldete sich Nils, der meinem Eindruck nach der unerfahrenste Internetsurfer ist, am dritthäufigsten zu Wort, was zeigt, dass die Redeanteile selbstverständlich auch sehr von der Persönlichkeit abhängen. Die meisten Redesequenzen besaß allerdings bei beiden Gruppen der Interviewer. Der Anteil liegt beim ersten Interview bei 40 Prozent und beim zweiten Interview bei 30 Prozent. Bei der zweiten Gruppe entwickelte sich das Interview noch häufiger als beim ersten Mal zur Diskussion. Dies musste ich an manchen Stellen ausbremsen, da einzelne Punkte des Fragenkatalogs nicht unberücksichtigt bleiben sollten. Jenes wiederum war wichtig, weil die beiden Gruppeninterviews vergleichbar sein sollten. Im Rückblick wäre ein nicht standardisiertes Konzept für die Befragung, also ein Gruppendiskussionskonzept, womöglich noch aussagekräftiger gewesen. Die Erkenntnisse der Gruppeninterviews werde ich bei meinem weiteren empirischen Vorgehen berücksichtigen (siehe folgendes Kapitel).