Richtlinien für die digitale Barrierefreiheit 
Weil technische Spezifikationen wie HTML die Barrierefreiheit nicht "out of the box" garantieren, gibt es zusätzliche Webstandards zur digitalen Barrierefreiheit. Das W3C hat über die Jahre insbesondere folgende drei Dokumente zur digitalen Barrierefreiheit entwickelt:
- Web Content Accessibility Guidelines 2.0 (11.12.2008) und Web Content Accessibility Guidelines 2.1 (5.6.2018),
- Authoring Tool Accessibility Guidelines 2.0 (24.9.2015) und
- User Agent Accessibility Guidelines 2.0 (15.12.2015).
Auch wenn die anderen beiden Richtlinien für die digitale Barrierefreiheit wichtig sind, sind meist die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) für die Gestaltung von Webseiten, Dokumenten oder Software relevant. Die WCAG sind auf Inhalte anwendbar im Gegensatz zu den anderen beiden Richtlinien. Die Authoring Tool Accessibility Guidelines 2.0 sind auf erstellende Software wie ein Redaktionssystem ausgerichtet. Die User Agent Accessibility Guidelines 2.0 beschreiben Anforderungen insbesondere an Browser, Media-Player und Browsererweiterungen.
Die WCAG gibt es in zwei Versionen. Die WCAG 2.1 ergänzt die WCAG 2.0 um weitere 17 Kriterien. Die WCAG 2.1 enthält die WCAG 2.0 vollständig. In der Europäischen Union und in Deutschland sind die WCAG 2.1 maßgebend. Einen Überblick der WCAG 2.1 liefert der Beitrag
Die vier Prinzipien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) 2.1.
Europäische Vorgaben
Die Europäische Union hat mit verschiedenen Richtlinien die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, ihre Gesetzgebungen anzupassen, um Mindestanforderungen der digitalen Barrierefreiheit durchzusetzen. Diese Richtlinien sind:
Die Europäischen Richtlinien sind an die Mitgliedsstaaten gerichtet. Erst wenn die Mitgliedsstaaten entsprechende Gesetze verabschieden, sind die europäischen Vorgaben verpflichtend in einem Land.
Umsetzung in Deutschland
In Deutschland wurden die Vorgaben der Richtlinie 2016/2102 zur digitalen Barrierefreiheit im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) vom Juli 2018 und in der
Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung – BITV 2.0 vom Mai 2019 aufgenommen. Das BGG regelt vor allem, welche öffentlichen Stellen welche digitalen Angebote barrierefrei gestalten müssen und darüber hinaus wie die Fortschritte überwacht werden sollen. Die BITV 2.0 legt unter anderem die anzuwendenden Standards fest.
BGG und BITV 2.0 gelten für öffentliche Stellen des Bundes. Die 16 Bundesländer in Deutschland haben eigene Gleichstellungsgesetze und Verordnungen. Die Landesnormen verweisen entweder auf die BITV 2.0 oder auf die europäischen Vorgaben.
Mindestanforderungen der digitalen Barrierefreiheit
Die Europäische Union hat bereits in der Richtlinie 2016/2102 bestimmt, dass die EN 301549 (v1.1.2) als Mindeststandard für die digitale Barrierefreiheit öffentlicher Stellen in Europa gilt. Inzwischen ist im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. L 289/53 vom 12.08.2021) mit dem Durchführungsbeschluss 2021/1339 die EN 301549 (v 3.2.1vom März 2021) zum Mindeststandard bestimmt worden.
In der EN 301549 werden insbesondere für
- Web (Kapitel 9)
- Nicht-Web-Dokumente (Kapitel 10) und
- Software wie zum Beispiel mobile Apps (Kapitel 11)
die Erfolgskriterien aus den WCAG 2.1 auf Konformitätsstufe AA als Mindestanforderung bestimmt. Je nach Anwendung (zum Beispiel Autorenwerkzeuge, Notfalldienste und so weiter) sind auch weitere Mindestanforderungen festgelegt.
Prüfung der Barrierefreiheit
Die BITV 2.0 und die Europäische Richtlinie 2016/2102 arbeiten mit einer Konformitätsvermutung. Das bedeutet, dass die Barrierefreiheit eines digitalen Inhalts erst dann angenommen werden kann, wenn Konformität zu einer Barrierefreiheitsnorm erreicht wird. Bei dieser Norm handelt es sich um die EN 301549.
Die Prüfschritte zur Überprüfung der Konformität zur EN 301549 werden in Anhang C der EN 301549 aufgeführt. Obwohl es Prüfschritte zu den Kapitel 5 bis 8 sowie 12 und 13 gibt, so werden meist nur die Prüfschritte der Kapitel 9, 10 und 11 relevant sein. Diese Prüfschritte beziehen sich weitgehend auf die WCAG 2.1. Für Software gibt es gegenüber den WCAG 2.1 26 zusätzliche Anforderungen bezogen auf Kapitel 11.
Die WCAG 2.1 beschreibt die Mindestanforderungen der Barrierefreiheit für einzelne Webseiten, Dokumente oder Ansichten einer Software. Die 50 Erfolgskriterien der WCAG 2.1 auf Konformitätsstufe AA sind als testbare Kriterien formuliert. Weitere Hinweise zur Prüfung werden in den nicht-normativen Techniken zu den WCAG 2.1 geboten.
Für die meisten Anbieter ist die Barrierefreiheit nicht nur einzelner Webseiten oder Dokumente von Interesse, sondern die Barrierefreiheit eines Webauftritts oder einer Software. Ein gesondertes Prüfverfahren zur Barrierefreiheit ist in der WCAG 2.1 nicht enthalten. Vielmehr steht ein weiteres Dokument zur Verfügung, die
Website Accessibility Conformance Evaluation Methodology (WCAG-EM) 1.0, das Verfahren zur Seitenauswahl, zur Konformitätsbewertung und zur Dokumentation beschreibt.
Stand der Technik
Neben den Erfolgskriterien aus den WCAG 2.1 muss nach der BITV 2.0 der Stand der Technik beachtet werden. Für barrierefreies Webdesign kommen vor allem folgende technische Standards als Stand der Technik in Frage:
- Accessible Rich Internet Applications (ARIA):
https://www.w3.org/TR/wai-aria/
- HTML
https://html.spec.whatwg.org/multipage/
- ARIA Authoring Practices Guide (APG)
https://www.w3.org/WAI/ARIA/apg/
- ARIA in HTML
https://www.w3.org/TR/html-aria/
- HTML Accessibility API Mappings
https://www.w3.org/TR/html-aam/
- Core Accessibility API Mappings
https://www.w3.org/TR/core-aam/
Die aktuelle Fassung ist 1.1, aber der Editor's Draft (Version 1.2) umfasst einige entscheidende Verbesserungen:https://w3c.github.io/core-aam/