Barrierefreies Webdesign ein zugängliches und nutzbares Internet gestalten

Barrierefreie Gestaltung multimedialer Inhalte mittels SMIL 2.0 in der Theorie und anhand eines Beispiels geschrieben von René Hojas (2004)

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Am 20. Dezember 1993 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine gemeinsame Resolution mit dem Titel "The Standard Rules on the Equalization of Opportunities for Persons with Disabilities" verabschiedet. Mit der Bestimmung 1 der Charta wurde den Mitgliedsstaaten die Verantwortung übertragen, das weltweite gesellschaftliche Umdenken in Bezug auf Gleichstellung von behinderten Menschen in den nationalen Gesetzgebungen zu verankern und durch geeignete Maßnahmen ein öffentliches Bewusstsein zu fördern: "States should take action to raise awareness in society about persons with disabilities, their rights, their needs, their potential and their contribution." vgl. Extern, englischsprachig: United Nations 2004

In der Folge wurden in vielen Nationen entsprechende Gesetze erlassen. Die wachsende Bedeutung der Informationstechnologien machte Bestimmungen zur Wahrung der Rechte behinderter Menschen in diesem Bereich nötig. Diese Gesetze basieren inhaltlich zu einem großen Teil auf den Empfehlungen des W3C. Dieses Konsortium ist zwar eine international anerkannte Organisation, an der viele große Unternehmen und Universitäten beteiligt sind, aus rechtlicher Sicht ist und bleibt es allerdings ein privatrechtliches Konstrukt. Als solches kann das es internationalen Normen, sondern nur Empfehlungen ohne rechtlich bindenden Charakter herausgeben. vgl. Extern: BIZEPS 2004

Richtlinien in den USA

Im Jahr 1973 wurde in den Vereinigten Staaten das Rehabilitationsgesetz (Rehabilitation Act) beschlossen. In einer zentralen Bestimmung, der Section 504, ist geregelt, dass niemand aufgrund seiner Behinderung von der gleichberechtigten Teilhabe an Aktivitäten, Initiativen oder der Nutzung von Angeboten, die von der Regierung finanziell unterstützt werden, ausgeschlossen oder dabei benachteiligt werden darf. Dieses Gesetz hat unter anderem maßgeblich dazu beigetragen, dass die Möglichkeiten für ein gleichberechtigtes Studium von behinderten Studierenden an Universitäten der Vereinigten Staaten enorm verbessert wurden. vgl. Extern: BIZEPS 2004

Obwohl das Rehabilitationsgesetz in einigen Bereichen nachhaltige Verbesserungen der Situation bedeuteten, konnte dieses Gesetz die völlige Gleichstellung der behinderten Menschen nicht bewirken, da es nur Auswirkungen auf staatlich subventionierte Institutionen hatte. Diskriminierungen im privatrechtlichen Bereich wurden damit nicht bekämpft. vgl. Extern: BIZEPS 2004

Die Regierung der Vereinigten Staaten hat letztendlich auf die Bemühungen der Behindertenorganisationen reagiert und mit dem Erlass eines eigenen Behindertengleichstellungsgesetzes, dem Americans with Disabilities Act (ADA), im Jahr 1990 ihre Vorreiterposition hinsichtlich der Gleichstellung von behinderten Menschen bestätigt. vgl. Extern, englischsprachig: Americans with Disability Act 2004

Der amerikanische Kongress verabschiedete 1998 den Abschnitt 508 als Erweiterung des Rehabilitierungsgesetzes von 1973. Dieser als "Section 508" bekannte Gesetzesabschnitt verpflichtet alle staatlichen Organisationen der Vereinigten Staaten, Menschen mit Behinderungen einen gleichwertigen Zugang zu den Inhalten der Informationstechnologien zu ermöglichen.

Auf Basis der Section 508 wurden Richtlinien zur Erstellung zugänglicher Websites definiert. Diese Bestimmungen haben viele Anforderungen der WCAG 1.0 integriert, wenn auch einige davon nur in abgeschwächter oder veränderter Form, da die Formulierungen der WCAG entweder als zu streng oder als zu allgemein angesehen wurden. vgl. Extern, englischsprachig: Hatcher 2004

Die Situation in der Europäischen Union

Innerhalb der Europäischen Union werden Diskriminierungen aller Art im Artikel 13 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) aus dem Jahr 1999 behandelt. Dieser wurde am 12.05.2000 um eine zusätzliche "Mitteilung der Kommission an den Rat, das europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen" erweitert. Dieser Zusatz thematisiert den Bereich Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen und formuliert neue Ideen und Strategien, um ein Umdenken in der Gesellschaft herbeizuführen und die Barrieren für behinderte Menschen abzubauen. Im Zuge dieser Bemühungen wurde das Jahr 2003 als "Europäisches Jahr der Menschen mit Behinderungen" deklariert um das Thema medienwirksam an die Öffentlichkeit zu bringen. vgl. Extern: Europäische Kommission 2004

Der nächste wichtige Schritt war die Verabschiedung des Aktionsplans "eEurope 2002", durch den Europäischen Rat im Juni 2000. Die wichtigsten Ziele und Maßnahmen die Barrierefreiheit betreffend wurden in dieser Initiative unter dem Begriff eAccessibility zusammengefasst und wie folgt definiert:

"Die Gewährleistung eines möglichst breiten Zugangs der gesamten Bevölkerung zu den Informationstechnologien ist einer der Schwerpunkte des Aktionsplans eEurope 2002. Dabei geht es besonders um die bessere Einbeziehung der Behinderten und aller Menschen, die allein nicht in der Lage sind, die Vorteile der Informationsgesellschaft für sich zu nutzen. Der Aktionsplan empfiehlt folgende konkrete Maßnahmen:

vgl. Extern: EUROPA–Das Portal der europäischen Union 2004a

In einer Entschließung vom 25. März 2002 fordert der Europäische Rat, basierend auf den Inhalten der Initiative "eEurope 2002", alle Mitgliedstaaten auf, "spezifische, mit ausreichenden Mitteln ausgestattete Maßnahmen zur Erreichung des im Aktionsplan eEurope 2002 vorgegebenen Ziels für die Zugänglichkeit der öffentlichen Websites auf allen Ebenen der staatlichen Verwaltung durchzuführen." vgl. Extern: Europäische Kommission 2004

Ein weiterer wichtiger und richtungweisender Aspekt ist die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, "einen ständigen Dialog mit den repräsentativen Organisationen der Behinderten und Organisationen, die die älteren Menschen vertreten, weiterzuentwickeln, damit deren Standpunkte zu diesen Fragen berücksichtigt werden können." vgl. Extern: Europäische Kommission 2004

Die Ansätze und Ergebnisse der bisherigen Initiativen wurden in den aktuellen Aktionsplan "eEurope 2005" übernommen und um einige neue Aspekte erweitert. Zu den primären Zielen zählen erstens, das Potential einer "Informationsgesellschaft für alle" voll auszuschöpfen und dabei sicher zu stellen, dass niemand von der Nutzung ausgeschlossen wird - vor allem nicht Menschen mit Behinderungen, und zweitens das bereits im Kapitel "Exkurs: Das Problem der Digitalen Spaltung" (siehe Möglichkeiten und Vorteile) näher erläuterte Problem der "Digitalen Spaltung" zu bekämpfen. vgl. Extern: EUROPA–Das Portal der Europäischen Union 2004b

Richtlinien in Deutschland

Im November 1994 wurde der Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes durch den Satz "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" ergänzt. Dadurch wurde ein Benachteiligungsverbot zu Gunsten behinderter Menschen verfassungsrechtlich verankert. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland setzte somit ein erstes Zeichen für einen Paradigmen- und Kurswechsel in der Behindertenpolitik.

Die logische Fortsetzung bestand in der Veröffentlichung des Bundesgleichstellungsgesetzes (BGG) im Jahr 2002. Dieses Gesetz fordert die Beseitigung möglichst aller Barrieren, die Menschen mit Beeinträchtigungen gegenüber Nichtbehinderten hinsichtlich der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben benachteiligen. vgl. Extern: Schmitz, C. 2004a

Barrierefreies Internet wird im Absatz 1 des § 11 BGG geregelt: "Träger öffentlicher Gewalt im Sinne des § 7 Absatz 1 Satz 1 gestalten ihre Internetauftritte und -angebote sowie die von ihnen zur Verfügung gestellten grafischen Programmoberflächen, die mit Mitteln der Informationstechnik dargestellt werden, nach Maßgabe der nach Satz 2 zu erlassenden Verordnung schrittweise technisch so, dass sie von behinderten Menschen grundsätzlich uneingeschränkt genutzt werden können." (Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen, § 11)

Die im § 11 "BGG erwähnte Verordnung wurde am 24.Juli 2002 unter dem Titel "Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV)" veröffentlicht. Alle öffentlichen Internetauftritte, die nach In-Kraft-Treten der Verordnung neu gestaltet werden, müssen für auch Menschen mit Behinderungen zugänglich sein, alle schon bestehenden öffentlichen Websites müssen bis 31. Dezember 2005 an die Anforderungen der Barrierefreiheit angepasst werden. Die Richtlinien der BITV basieren inhaltlich auf den WCAG 1.0, enthalten keinerlei technische Vorgaben (z.B. Netzwerkarchitekturen, Server, Benutzeragenten, etc.), sondern konzentrieren sich allein auf die angebotenen Inhalte. vgl. Extern: Schmitz, C. 2004a

Für den privatrechtlichen Raum gibt es aktuell keine gesetzlichen Vorgaben, die einen zugänglichen Webauftritt zwingend verlangen. Die Bundesregierung Deutschland versucht diesen Teil der Internetanbieter über das Instrument der Zielvereinbarungen zu veranlassen, ihre Websites barrierefrei zu machen. Anerkannte Behindertenverbände können Verhandlungen mit Wirtschaftsunternehmen über die Barrierefreiheit ihrer Websites verlangen und auch führen, die Zielvereinbarungen selbst sind allerdings zivilrechtliche Verträge zwischen Anbietern und den Organisationen und können nur freiwillig abgeschlossen werden. Zielführender ist das Schaffen eines allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstseins, dass Barrierefreiheit allen Menschen dient und somit einen großen Mehrwert für alle darstellt. vgl. Extern: Schmitz, C. 2004a

Richtlinien in Österreich

Der Artikel 7 Absatz 1 der Österreichischen Bundesverfassung wurde 1997 auf Grund der Resolution der Vereinten Nationen von 1993 geändert und das Bekenntnis zur Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen verfassungsrechtlich verankert:

"Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten." (B-VG Art. 7 Abs. [1])

Am 29. Jänner 2004 wurde vom Nationalrat das eGovernment-Gesetz beschlossen. Durch dieses Gesetz werden die Forderungen des Aktionsplans eEurope 2002 in die nationale Gesetzgebung übernommen. Die Legislative normiert in diesem Gesetz unter anderem die verpflichtende Anpassung von Internetauftritten öffentlicher Stellen an die Standards der WAI. vgl. Extern: Krispl 2004

Im § 1 Absatz 3 des eGovernment-Gesetzes heißt es: "Bei der Umsetzung der Ziele dieses Bundesgesetzes ist Vorsorge dafür zu treffen, dass behördliche Internetauftritte, die Informationen anbieten oder Verfahren elektronisch unterstützen, spätestens bis 1. Jänner 2008 so gestaltet sind, dass internationale Standards über die Web-Zugänglichkeit auch hinsichtlich des barrierefreien Zugangs für behinderte Menschen eingehalten werden." vgl. Extern: Krispl 2004

Kritisiert werden müssen allerdings die langen Übergangsfristen und vor allem, dass es bis zum 1. Jänner 2008 keine Verpflichtung für Behörden gibt, neue Webangebote von vornherein barrierefrei zu gestalten. Dadurch können paradoxerweise nach wie vor nicht zugängliche Internetauftritte öffentlicher Einrichtungen ohne Sanktionen ins Netz gestellt werden, wenn sie bis zu eben genannten Datum den Anforderungen der Barrierefreiheit angepasst werden. Diese Gesetzeslücke widerspricht nicht nur den Zielen und Maßnahmen von eEurope 2002 und der Entschließung des Europäischen Rates vom März 2002, sondern auch gegen das Verbot der Benachteiligung und dem Ziel der Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen gemäß Artikel 7 Absatz 1 der Österreichischen Bundesverfassung. vgl. Extern: Krispl 2004