Barrierefreies Webdesign ein zugängliches und nutzbares Internet gestalten

Barrierefreie Gestaltung multimedialer Inhalte mittels SMIL 2.0 in der Theorie und anhand eines Beispiels geschrieben von René Hojas (2004)

Der Prototyp

Wie in den bisherigen Kapiteln herausgearbeitet wurde, bietet SMIL 2.0 in der Theorie umfangreiche Möglichkeiten der barrierefreien Gestaltung von multimedialen Präsentationen. Die Zusammenarbeit mit der Xplain GmbH ermöglichte es dem Autor in einer Diplomarbeit, dieses theoretische Potenzial in Form eines funktionalen Prototypen in die Praxis umzusetzen.

Abbildung des Prototypen im RealPlayer 10: Auf der linken Seite wird der eigentliche Film abgespielt, rechts befindet sich ein Fenster für das Gebärdensprache-Video, die Steuerelemente befinden sich darunter Abbildung 1: Der Prototyp im RealPlayer 10

Die Ziele dieses Werkstückes waren erstens, eine beispielhafte Präsentation multimedialer Inhalte zu produzieren, die für alle Nutzergruppen zugänglich ist, und zweitens dabei den Umfang der von SMIL 2.0 angebotenen Funktionalitäten im Sinne der Barrierefreiheit weitestgehend auszuloten und auszuschöpfen. Die Erkenntnisse dieser Arbeit werden in laufende und zukünftige Projekte des Unternehmens einfließen und dienen als Basis für weitere Untersuchungen in diesem Bereich.

Sämtliche Funktionen und der Quelltext des Prototypen entsprechen in jeder Hinsicht dem offiziellen W3C-Standard und sollten in der Theorie von allen im Kapitel User Agents erwähnten User Agents korrekt dargestellt werden. Aufgrund von Umständen, die im Folgenden noch näher erläutert werden, kann diese uneingeschränkte Unterstützung jedoch nicht allgemein garantiert werden. Die Beispielpräsentation wurde anhand des Realplayer 10 auf ihre korrekte Darstellung, Funktionsweise und Interpretation hin getestet.

Ausgangssituation

Als Ausgangsmedium wurde ein Filmausschnitt mit einer Länge von 80 Sekunden gewählt. Die betreffende Szene spielt in einem Casino von Las Vegas und dokumentiert das Streitgespräch eines Ehepaars. Diese Sequenz eignet sich aus zwei Gründen sehr gut für den beabsichtigten Zweck. Zum einen ist die visuelle Ebene in diesem konkreten Fall von entscheidender Bedeutung für die Einschätzung der Situation und die Charakterisierung der Akteure, zum anderen stellt ein Wortgefecht, mit sehr kurzen Pausen auf der akustischen Ebene, eine besondere Herausforderung dar.

Integrierte Accessibility Features

Um die Inhalte dieser Sequenz einem denkbar breiten Publikum zugänglich zu machen, wird versucht, alle in den letzten Kapiteln dieser Arbeit erwähnten Funktionalitäten, die SMIL 2.0 hinsichtlich Barrierefreiheit bietet, in der Beispiel-Präsentation umzusetzen. Der Prototyp beachtet alle Anforderungen der Barrierefreiheit und überlässt dem Benutzer völlige Entscheidungsfreiheit, auf welchen Kanälen die Inhalte transportiert werden sollen.

Dabei kann er zwischen mehreren synchronisierten Tonspuren und mehrsprachigen Untertiteln wählen. Zusätzlich hat er die Möglichkeit, ein Video in Gebärdensprache, Beschreibungen der visuellen Ebene in akustischer Form und eine Zusammenfassung als Textdatei abzurufen. Die eben angesprochenen Funktionen werden nachstehend näher erläutert.

Barrierefreies User Interface:

Die gewählte Farbkombination des Designs bedingt einen hohen Kontrastwert. Dadurch können Menschen mit Sehbehinderungen und solche, die ein Ausgabegerät mit geringer Auflösung verwenden, die Elemente des User Interface besser identifizieren und bedienen.

Abbildung des Prototypen: Barrierefreies User-Interface Abbildung 2: Barrierefreies User-Interface

Jedes sichtbare Element ist mit den Attributen alt, "title und gegebenenfalls auch longdesc versehen. Die visuellen Inhalte werden dadurch für assistiven Technologien zugänglich. Diese Attribute werden im Kapitel Bilder und Grafiken dieser Arbeit ausführlich erläutert.

Um den Anforderungen von Benutzern, die keine Maus als Eingabegerät einsetzen können oder auch wollen, sind jedem Steuerelement die Attribute tabindex und accesskey zugeordnet. Diese Beifügungen ermöglichen im ersten Fall eine klare Definition der Aktivierungsreihenfolge der Bedienungselemente bei der Navigation über die Tabulatortaste. Im zweiten Fall kann jedem dieser Elemente eine bestimmtes alphanumerisches Zeichen auf der Tastatur ("Shortcut") zugewiesen werden, durch dessen Eingabe der entsprechende Bereich in den aktiven Zustand versetzt wird. Die Implementierung dieser Funktionalitäten sichert die uneingeschränkt mögliche Bedienung der Oberfläche durch die Tastatur.

Steuerung der Präsentation:

Detailansicht der Steuerelemente Abbildung 3: Die Steuerelemente

SMIL 2.0 bietet theoretisch umfangreiche Möglichkeiten, Einfluss auf den Ablauf einer Präsentation zu nehmen. Im dieser Arbeit zugrunde liegenden Prototypen werden die derzeit von den verfügbaren User Agents unterstützen Funktionen des Standards integriert. Dazu gehören zum einen das Stoppen und Starten, sowie das Pausieren der Präsentation.

Zum anderen können in jedem zeitlichen Ablauf Sprungmarken gesetzt werden, die als Anker fungieren. Dadurch ist es möglich, die Präsentation, ähnlich wie eine DVD, in einzelne Kapitel zu unterteilen. Der Benutzer kann auf diese Weise beispielsweise einfach zu einer bestimmten Stelle der Präsentation navigieren oder eine Sequenz, deren Inhalte ihm aus unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten in Bezug auf das Verständnis bereiten, problemlos mehrfach abrufen, ohne dabei die gesamte Präsentation durchlaufen zu müssen.

Andere in SMIL 2.0 integrierte Funktionen, wie zum Beispiel die Einflussnahme auf die Abspielgeschwindigkeit der Präsentation durch das Attribut speed werden von keinem aktuellen User Agent unterstützt.

Mehrsprachige Tonspuren:

Ansicht der Einstellungen für mehrsprachige Tonspuren im RealPlayer 10 Abbildung 4: Einstellungen im RealPlayer 10

Wie im Kapitel "Sprache als Barriere" (siehe Einige Beeinträchtigungen im Detail) festgestellt, bedeutet die Sprache oftmals schon eine Barriere. Die dieser Arbeit zugrunde liegende Präsentation enthält zwei mit dem Video synchronisierte Tonspuren (Deutsch und Englisch). Der Benutzer kann über die speziellen Einstellungen seines User Agents (z.B. Abbildung 4) eine Standardsprache definieren und auf diese Weise seine bevorzugte Sprache wählen. Mittels SMIL werden diese Einstellungen überprüft und entsprechende Inhalte ausgegeben. Gibt es kein entsprechendes Angebot, das den Einstellungen des Benutzers entspricht, wird die in der Präsentation an erster Stelle angegebene Tonspur verwendet.

Akustische Beschreibung:

Wie schon mehrfach festgestellt sind sehbehinderte Menschen nicht in der Lage, aus den visuellen Eindrücken einer Präsentation Nutzen zu ziehen. Um dieser Nutzergruppe den Zugang zu dieser für das umfassende Gesamtverständnis notwendigen Ebene zu ermöglichen, sind diese Inhalte in entsprechender Form anzubieten. In den Einstellungen vieler Benutzeragenten (z.B. Abbildung 4) kann das Abrufen von akustischen Beschreibungen aktiviert werden. Diese akustischen Beschreibungen schildern die notwendigen Details der visuellen Ebene und helfen auf diese Weise einen optimalen Eindruck der Gesamtsituation zu vermitteln.

Akustische Beschreibungen werden in der einen oder anderen Form schon seit längerem eingesetzt. Bisher stieß diese Technik bei intensiven Dialogen und gleichzeitig wichtigen Geschehnissen auf visueller Ebene schnell an ihre Grenzen, da es durch die fehlenden Sprechpausen nicht möglich war, akustische Beschreibungen zu integrieren, ohne die Synchronität der einzelnen Medientypen zu vernachlässigen.

Mit SMIL 2.0 kann dieses Problem umfassend gelöst werden. Mit dieser Technologie lässt sich die gesamte Präsentation für die Dauer des beschreibenden Audioclips in einen Pause-Zustand versetzen. Die Länge der unterbrechenden Sequenz spielt dabei keine Rolle. Die angehaltene Zeitleiste läuft danach exakt an der Stelle der Unterbrechung und völlig synchron weiter.

Untertitel:

Diese Technik stellt eine der Möglichkeiten dar, die wichtigen Inhalte der akustischen Ebene alternativ, und trotzdem mit der restlichen Präsentation synchronisiert, wiederzugeben. Auf diese Weise werden diese Inhalte allgemein zugänglich zu machen.

Ansicht der synchronisierten Untertitelung: Am unteren Bildrand werden die Untertitel eingeblendet Abbildung 5: Synchronisierte Untertitelung

Dadurch können hörgeschädigte Benutzer im vorliegenden Fall dem Streitgespräch folgen und die Inhalte erfassen. Das Anzeigen angebotener Untertitel kann in den Einstellungen des Ausgabegerätes aktiviert werden (Abbildung 4). Wie bei den Tonspuren hat der Gestalter einer Präsentation auch in diesem Fall die Möglichkeit, Textströme in unterschiedlichen Sprachen anzubieten. Die Auswahl des entsprechenden Textstroms und somit der Sprache geschieht adäquat zu den Tonspuren über die Definition der Standardsprache in den Optionen des User Agents. Werden keine Untertitel für eine gewählte Sprache, so wird der erstdefinierte Textstrom angezeigt.

Video in Gebärdensprache:

Manche gehörlose Menschen können über Gebärdensprache transportierte Inhalte besser Aufnehmen als über Untertitel. Aus diesem Grund besteht im Prototyp die Möglichkeit ein entsprechendes Video mit synchronisierter Übersetzung der akustischen Ebene in Gebärdensprache zu aktivieren.

Ansicht der Gebärdensprache: Diese wird in einem separaten Fenster links neben dem eigentlichen Film dargestellt Abbildung 6: Gebärdensprache-Video

Zusammenfassung als Textdatei:

Eine grundlegende Forderung der Barrierefreiheit ist das alternative Angebot von transportierten Inhalten im Textformat. Die wichtigsten Informationen über die Geschehnisse stehen im Prototyp als zusammenfassender Text zur Verfügung.

Aktuelle Probleme und Ausblick

Der Prototyp gibt einen Überblick über die aktuelle Situation und die vorhandenen Möglichkeiten. Das Potenzial von SMIL 2.0 hinsichtlich Barrierefreiheit ist aus Sicht des Verfassers dieser Arbeit beträchtlich. Diese Technologie versetzt theoretisch jeden Autor einer multimedialen Präsentation in die Lage, deren Inhalte weitgehend allgemein zugänglich zu machen.

In der Praxis werden diese Möglichkeiten allerdings noch von technischen Gegebenheiten beschnitten. Das vielleicht größte Problem, das erwähnt werden muss ist, die unbefriedigende Situation die vorhandenen User Agents betreffend. Es gibt aktuell wenige, die weite Teile des Funktionsumfangs von SMIL 2.0 unterstützen und keinen einzigen, der das Potenzial vollständig ausschöpft.

Momentan wird noch eine Reihe von Elementen und Attributen nicht korrekt interpretiert. Der Autor musste bei der Produktion des Prototypen unter anderem auf die Gestaltung der Präsentation durch Cascading Style Sheets, und die Implementierung der Funktionalität, die internen Zeitleisten von integrierten Medien manipulieren zu können, aufgrund der erwähnten fehlenden Unterstützung durch User Agents, verzichten.

Die Hersteller von User Agents, von denen sich einige wichtige an der Entwicklung des SMIL-Standards beteiligen, sind sich dieser Probleme auch bewusst. Es steht zu erwarten, dass sie mit den nächsten Generationen ihrer Produkte ihren Beitrag leisten werden, um die gänzliche Barrierefreiheit von multimedialen Inhalten sicherzustellen.

Die vorliegende Diplomarbeit und der zugehörige Prototyp wurde in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Xplain GmbH in Hamburg erstellt. Dieses Unternehmen setzt einen Arbeitsschwerpunkt im Bereich Barrierefreiheit und realisiert in diesem Zusammenhang aktuell mehrere Projekte. Unter anderem werden die Webauftritte einiger wichtiger deutscher Rundfunk- und Fernsehanstalten hinsichtlich Barrierefreiheit überarbeitet. Die Erkenntnisse dieser Arbeit leisten einen wertvollen Beitrag für diese Projekte und dienen als Basis für weitere Untersuchungen und Entwicklungen in diesem Bereich.