Lesen, was drinsteht — rausholen, was drinsteckt: Wie blinde Computernutzer sich PDF-Dokumente zugänglich machen geschrieben von Oliver Nadig (2005)
Dieser Beitrag wurde von Oliver Nadig in Oktober 2005 verfasst. Die vorliegende Fassung ist die Version 1.02 vom 25.1.2006.
6.2 Verschlüsselt und versiegelt? — Die PDF-Sicherheitseinstellungen
"Es ist schon mehrfach angeklungen, dass PDF-Autoren ihre Dateien schützen können, indem Sie dem Benutzer verbieten, gewisse Dinge damit zu unternehmen. Mögliche Verbote können sein:
- Das Ausdrucken der PDF-Datei ist entweder gar nicht oder nur in geringer Druckqualität möglich.
- Der Benutzer darf das Dokument nicht mit eigenen Anmerkungen versehen.
- Das Ausfüllen bzw. das Senden von Formularfeldern ist untersagt.
- Der Benutzer kann das Dokument nicht unterschreiben.
- Für Screenreader-Benutzer besonders relevant: Das kopieren von Dokumentinhalten in die Zwischenablage ist nicht möglich.
Um ein Dokument derart zu schützen, vergibt der Autor ein sogenanntes Berechtigungskennwort, auf dessen Grundlage das Dokument verschlüsselt wird. Bis zur Version PDF 1.3 (also der A.R.-Version 4) war es lediglich möglich, Dokumente mit einer schwächeren 40Bit-Verschlüsselung zu schützen. Ab der Version PDF 1.4 (also ab der A.R.-Version 5) steht zusätzlich eine mehr Sicherheit bietende (stärkere) 128-Bit-Verschlüsselung zur Verfügung. Wird ein Dokument 128-Bit-verschlüsselt, kann es allerdings mit dem A.R.4 und niedrigeren Versionen nicht mehr geöffnet werden. Daraus ergibt sich bezüglich der Dokumentsicherheit eine fehlende Abwärtskompatibilität bzw. ein Bruch zwischen den PDF-Versionen 1.3 und 1.4 und somit zwischen den A.R.-Versionen vier und fünf.
PDF-Autoren befinden sich nun in folgender Zwickmühle: Entscheiden sie sich für eine in jedem Falle abwärtskompatible 40Bit-Verschlüsselung, so hat dies für uns Screenreader-Benutzer folgenden gravierenden Nachteil; wird in einem 40Bit-verschlüsselten PDF-Dokument das Kopieren von Inhalten in die Zwischenablage und damit ebenfalls die Umwandlung ins Textformat verboten, wird gleichzeitig automatisch auch dem Screenreader der grundsätzliche Zugriff auf den Dokumentinhalt verweigert. Der A.R. und der Screenreader können dann nicht mehr über MSAA Daten austauschen, während der sehende Anwender das Dokument natürlich am Bildschirm problemlos lesen kann. Entscheidet sich der Autor dagegen für eine modernere 128-Bit-Verschlüsselung, ist das Dokument nicht mehr völlig abwärtskompatibel. Dafür lassen sich aber die Berechtigungen zum Kopieren von Inhalten in die Zwischenablage einerseits und für den Screenreader-Zugriff andererseits getrennt regeln."
"Bedeutet das: Nur beim Einsatz der modernen 128-Bit-Verschlüsselung lässt sich der Zugriff für Screenreader erlauben, während die Entnahme von Dokumentinhalten und die Textumwandlung unabhängig davon verboten sein kann."
"Genauso ist es. Sie können die Sache auch umgekehrt betrachten: Verbietet ein PDF-Autor unter Einsatz der älteren 40Bit-Verschlüsselung das Kopieren von Inhalten in die Zwischenablage und die Textumwandlung, so verbietet er gleichzeitig auch den Screenreader-Zugriff, was fatale Folgen für die Lesbarkeit des Dokumentes hat. Grund: In A.A.4 gibt es in den Sicherheitseinstellungen das Kontrollfeld 'Inhalte entnehmen oder kopieren, Zugriff nicht zulassen'. Ab A.A.5 kann man durch Verwendung der 128-Bit-Verschlüsselung diese beiden Funktionen entkoppeln. Hier die Vorgehensweise für den A.A.7:
- Das zu schützende PDF-Dokument wird im A.A.7 geöffnet.
- Der Menüpunkt 'Dokument | Sicherheit | Dieses Dokument schützen' wird aufgerufen; Es öffnet sich der Dialog 'Anzuwendende Richtlinie'.
- Im Dialog 'Anzuwendende Richtlinie' können Sie entweder eine vorgegebene Sicherheitsrichtlinie auswählen oder eine Neue anlegen. Wählen Sie hier die Sicherheitsrichtlinie 'Öffnen und Bearbeiten durch Kennwort einschränken' und bestätigen mit der "Eingabetaste".
- Nun wird das Dialogfenster 'Kennwortschutz-Einstellungen' eingeblendet. Wählen Sie in der Liste 'Kompatibilität unbedingt 'Acrobat 5.0 und höher'.
- Stellen Sie sicher, dass das Kontrollfeld 'Kennwort zum Öffnen des Dokuments erforderlich' deaktiviert ist.
- Um ein Berechtigungskennwort für den Dokumentschutz festlegen zu können, aktivieren Sie das Kontrollfeld 'Kennwort verwenden, um das Drucken und Bearbeiten des Dokuments bzw. seine Sicherheitseinstellungen einzuschränken'; der Fokus springt automatisch ins Eingabefeld für das Berechtigungskennwort. Geben Sie ein Berechtigungskennwort ein.
- Legen Sie in den beiden Listen 'Zulässiges Drucken' und 'Zulässige Änderungen' Ihre gewünschten Einstellungen fest.
- Jetzt das Entscheidende: Deaktivieren Sie das Kontrollfeld 'Kopieren von Text, Bildern und anderem Inhalt zulassen', damit kein Dokumentinhalt in die Zwischenablage kopiert und auch nicht als Text gespeichert werden kann; lassen Sie jedoch unbedingt das Kontrollfeld 'Textzugriff für Sprachausgabeprogramme für Sehbehinderte zulassen' eingeschaltet! Bestätigen Sie das Fenster über 'OK'.
- Bestätigen Sie den Hinweis, dass die Sicherheitseinstellungen zwingend nur im Rahmen der Acrobat-Produkte unterstützt werden, und dass Benutzer von Drittanbieter-Programmen die Sicherheitseinstellungen möglicherweise umgehen können, mit 'OK'.
- Abschließend müssen Sie das festgelegte Berechtigungskennwort noch einmal bestätigen.
Fazit: Nur über die 128-Bit-Verschlüsselung lässt sich dem Sicherheitsbedürfnis der Autoren und dem Informationsbedürfnis der Screenreader-Nutzer gleichermaßen Rechnung tragen."
"Zwei Fragen hierzu – erstens: Wie komme ich an den Inhalt eines 40Bit-verschlüsselten Dokumentes heran, bei dem das Kopieren oder Entnehmen von Inhalten verboten ist?"
"Es sind zwei Szenarien denkbar:
- Ihr Screenreader ist als sogenannte 'Vertrauenswürdige Anwendung' zertifiziert. Dann liefert der Adobe Reader Informationen über den Dokumentinhalt an ihren Bildschirmleser, obwohl dieser Zugriff eigentlich über die Sicherheitseinstellungen verboten ist. Beispielsweise ist JAWS, Ab Version 5.0 eine solche 'vertrauenswürdige Anwendung'. Wenn Sie mit JAWS 5.0 und höher einen 40Bit-Verschlüsselten Text in A.R.5 oder höher öffnen, sollten Sie keine Zugriffsprobleme haben – der Text sollte sich wie ein ungeschütztes Dokument lesen lassen. Allerdings bleiben die Verbote bezüglich des Kopierens von Inhalt in die Zwischenablage und des Textumwandelns in Kraft.
- Ihr Screenreader ist nicht als 'vertrauenswürdige Anwendung' zertifiziert. Dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als das Dokument mit GSView zu öffnen. GSView (im Zusammenspiel mit AFPL GhostScript) ist ein Produkt, welches die Sicherheitseinstellungen der Acrobat-Produkte nicht berücksichtigt und nahezu alle geschützten Dokumente öffnet. wie dies in der Praxis funktioniert, haben Sie in Abschnitt
5.3 Von PDF nach Text mit GSView erfahren."
"Meine zweite Frage: Ich liege doch bestimmt richtig mit der Vermutung, dass ich als Benutzer eines Dokumentes dessen Sicherheitseinstellungen zwar anzeigen lassen, jedoch nicht verändern kann – und: Wie verschaffe ich mir einen Einblick in die für ein PDF-Dokument geltenden Sicherheitseinstellungen?"
"Richtig: Nur der Autor, der das Berechtigungskennwort weiß, kann die Sicherheitseinstellungen auch verändern. Zum Betrachten der Sicherheitseinstellungen haben Sie zwei Möglichkeiten:
- Sie öffnen das Dokument im A.R. und rufen den Menüpunkt 'Dokument | Sicherheit | Sicherheitseinstellungen für dieses Dokument anzeigen' auf und lesen das eingeblendete Dialogfenster. Hier ein Beispiel der Anzeige für das Dokument 'Using accessible PDF Documents with Adobe Reader 7':
Kann geöffnet werden durch: Acrobat 5.0 und höher.
Der gesamte Inhalt des Dokuments ist verschlüsselt, und Suchmaschinen können nicht auf die Metadaten des Dokuments zugreifen.
Dokumenteinschränkungen – Zusammenfassung.
Drucken: Zulässig
Dokumentzusammenstellung: Nicht zulässig.
Kopieren bzw. Entnehmen von Inhalt: Nicht zulässig.
Inhalt für Ausgabehilfe entnehmen: Zulässig
Kommentieren: Nicht zulässig
Formularfelder ausfüllen: Nicht zulässig.
Unterschreiben: Nicht zulässig.
Vorlagenseiten erstellen: Nicht zulässig
Formulare senden: Nicht zulässig. - Sie lassen das Dokument von PDFInfo analysieren. Dieses Programm ist neben PDFToText Bestandteil des Programmpaketes Xpdf, befindet sich also im ' c:\xpdf'.Öffnen Sie also ein Fenster für die Eingabeaufforderung, wechseln Sie in den Ordner 'c:\xpdf' und rufen Sie das Programm PDFInfo, gefolgt von einem Leerzeichen und dem Pfad bzw. Namen der zu analysierenden Datei auf. Hier eine Beispielausgabe von PDFInfo für die bereits oben verwendete Datei, die mit der Kommandozeile
PDFInfo p:\pdf_dokumente\reader7_accessibility.pdf
analysiert wurde:
Title: Reading PDF Documents with Adobe Reader 7.0
Subject: A Guide for People with Disabilities
Keywords: accessible, PDF, disabilities, disability, blindness, low vision, low sight, mobility, impairment, impaired, reading, Adobe, Acrobat, Reader, screen reader, text-to-speech, reflow, handicap Author: Adobe Systems, Inc.
Creator: FrameMaker 7.1
Producer: Acrobat Distiller 7.0 (Windows)
CreationDate: 02/25/05 10:36:58
ModDate: 03/03/05 15:12:19
Tagged: yes
Pages: 73
Encrypted: yes (print:yes copy:no change:no addNotes:no)
Page size: 612 x 792 pts (letter)
File size: 3935496 bytes
Optimized: yes
PDF version: 1.5
Der Beitrag Lesen, was drinsteht — rausholen, was drinsteckt: Wie blinde Computernutzer sich PDF-Dokumente zugänglich machen besteht aus folgenden einzelnen Webseiten:
1. Klagelied eines frustrierten PDF-Neulings
Besonders die schlechte Aufbereitung von PDF-Dokumenten verstellt blinden Nutzern oft die selbständige Verwendung der Dokumente.
2. Nützliche Software zum Lesen und Umwandeln von PDF-Dateien
Neben dem Adobe Reader bietet weitere Software die Möglichkeit für Screenreadernutzer, auf den Inhalt von PDF-Dokumenten zuzugreifen.
2.1 Installation und Konfiguration des Adobe Readers
Was blinde und sehbehinderte Nutzer bei der Installation des Adobe Readers beachten müssen. Beschreibung des Installationsvorgangs und der zu beachtenden Einstellungen, damit das Lesen von PDF-Dokumenten optimal gelingt.
2.2 Installation von XPDF
Installation von XPDF bzw. PDFToText mit Hinweisen für blinde und sehbehinderte Nutzer.
2.3 Installation von GhostScript und GSView
GSView und Ghostscript sind für Screenreadernutzer zusätzlich erforderlich zum Adobe Reader, wenn sie PDF-Dokumente mit Sicherheitseinstellungen lesen wollen. Hier finden Sie eine Anleitung zur Installation dieser Software mit Hinweisen zur Bedienung in einem Screenreader.
2.4 Installation und Konfiguration von Omnipage Pro
Zum Lesen von PDF-Dokumenten in einer Sprachausgabe ist die Installation einer OCR-Software für viele Fälle sinnvoll. Installation und Hinweise zu Einstellungen werden hier beschrieben für Omnipage Pro 14.
3. Wann wird welches Programm eingesetzt? — ein Entscheidungsschema
Ein Entscheidungsschema für blinde Nutzer, wann sie welches Programm zum Lesen von PDF-Dokumenten einsetzen sollen. Diese umfassen vor allem den Adobe Reader, OCR-Programmen PDFToText (XPDF) und GSView (Ghostscript).
4. Lesen, was drinsteht: Den Adobe Reader im Griff
Einführung in die Nutzung des Adobe Readers zum Lesen von PDF in Screenreadern.
4.1 Wie Screenreader und Adobe Reader zusammenarbeiten
Wie ein Screenreader mit dem Adobe Reader über MSAA und andere Methoden arbeitet.
4.2 PDF-Dokumente im Adobe Reader lesen
Die Bedienung des Adobe Readers mit der Tastatur ist für Screenreadernutzer wichtig.
4.3 Formularbearbeitung mit dem Adobe Reader
Das Einscannen von Formularen und die Bereitstellung als PDF reicht nicht aus, um die Zugänglichkeit der Formulare herzustellen. Screenreader benötigen die Auszeichnung mit Tags sowie weitere MSAA-Informationen.
4.4 Die Sprachausgabe des Adobe Readers
Die Verwendung der Adobe Reader-Sprachausgabe zum Vorlesen von PDF-Dokumenten und -Formularen erfordert eine SAPI-kompatible Sprachausgabe.
4.5 Weitere Einstellungstipps für den Adobe Reader
Einige Einstellungen sollten im Adobe Reader vorgenommen werden, wenn Screenreader auf PDF-Dokumente besser zugreifen können sollen.
5. Rausholen, was drinsteckt: PDF in Text umwandeln
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, aus PDF Textdateien zu erstellen.
5.1 Von PDF nach Text mit dem Adobe Reader
Extrahieren von Text aus einer PDF unter Verwendung eines Screenreaders.
5.2 Von PDF nach Text mit PDFToText
Umwandlung von PDF nach Text mit PDFToText: Was Screenreadernutzer beachten müssen.
5.3 Von PDF nach Text mit GSView
Umwandeln von PDF nach Text mit GSView.
5.4 Von PDF nach Text per Texterkennungsprogramm
Die Verwendung von PDF in Screenreadern ist oft problematisch. Diese Seite beschreibt, wie blinde Nutzer PDF-Dokumente mit einer OCR-Software (Omnipage Pro 12 und 14, An Open Book 6 und 7) in ein zugängliches Format wie Microsoft Word umwandeln können.
5.5 Von PDF nach Text oder HTML per Internet
Umwandlung einer PDF in eine Screenreader-fähigen Datei über einen kostenlosen Web-Service.
6. Noch mehr Hintergrundwissen zu PDF
Hintergrundwissen zu Tagged PDF oder Verschlüsselungsmöglichkeiten kann Screenreadernutzern bei der Interpretation von Fehlermeldungen hilfreich sein.
6.1 Die sieben Versionen des PDF
Probleme im Screenreader bereiten können Konflikte im Zusammenspiel verschiedener Versionen von z.B. PDF-, Adobe Reader und der Verschlüsselungstechnik.
6.2 Verschlüsselt und versiegelt? — Die PDF-Sicherheitseinstellungen
(Aktuelle Seite)
6.3 PDF mit und ohne Tags
Tags sind beim Lesen und beim Export in andere Formate notwendig, damit Screenreadernutzer die Struktur der Inhalte nachvollziehen können.
6.4 Zur fertigen PDF-Datei auf tausend (Irr)wegen
"Viele Wege führen nach Rom" — aber nur die richtige Technik im PDF-Erstellungsprozess führt zu zugänglichen Dokumenten.
7. Zugänglichkeit von PDF für Blinde: Eine kritische Bilanz
Blinde Nutzer sind bei der Verwendung von PDF-Dokumenten immer noch stark benachteiligt. Hersteller und Autoren könnten diese Situation verbessern.
Weiterführende Literaturhinweise
Einige Artikel/Bücher und Online-Ressourcen zur Barrierefreiheit von PDF.
Über den Autor
Einige Angaben zu Oliver Nadig.
Die folgenden Begriffe dieser Seite werden auch im Glossar definiert: