Barrierefreies Webdesign ein zugängliches und nutzbares Internet gestalten

Das Internet hören und fühlen geschrieben von Niki Slawinski (2005)

Einleitung

"Der Vergleich halt zu den Sehenden… ähm, dass wir denen halt so gut wie in nichts nachstehen eigentlich", so beschreibt Bernd, geburtsblind, die Bedeutung des Internets für ihn persönlich (Gruppendiskussion Marburg 3)

Mitte der 90er Jahre trat, fast unbemerkt, das Internet in die Welt der Informations- und Kommunikationstechnologie ein. Nicht nur die mediale Situation der Sehenden, auch die der Sehgeschädigten wurde durch die neue Technologie grundlegend verändert. Das Internet bot den Blinden bisher ungeahnte Möglichkeiten der eigenständigen, unabhängigen und gleichberechtigten Kommunikation und Information. Mit Sprachausgabe und Braillezeile ausgestattet surfen Blinde hörend bzw. fühlend durchs weltweite Netz. Doch mit Einzug der grafischen Benutzerführung ist die gleichberechtigte Partizipation am gesellschaftlichen Leben gefährdet. Eine widersprüchliche Entwicklung des Internets beginnt: Jede technische Weiterentwicklung des Internets scheint für Blinde einen Rückschritt zu bedeuten, da neue technische "Barrieren" entstehen, mit welchen ihre Hilfsmittel nicht zurechtkommen. Der "Internetzugang für alle" scheint bedroht. Forderungen nach "Barrierefreiem Webdesign nehmen in den kommenden Jahren zu und erfahren im Jahr 2002 einen Höhepunkt, als das Behindertengleichstellungsgesetz verabschiedet wird. Mit diesem wird festgelegt, dass alle Internetangebote des Bundes bis Ende 2005 die Richtlinien der Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV) erfüllen müssen, um allen Menschen den Zugang zum Internetangebot der Bundesbehörden zu ermöglichen. Die Bedingungen der BITV beziehen sich auf die 1999 veröffentlichten Web Content Accessibility Guidelines 1.0 (WCAG 1.0). Die sechs Jahre alten Richtlinien scheinen auch nach gegenwärtigen Expertenmeinungen das Maß modernen Webdesigns zu sein. In Fachzeitschriften, Büchern, Nachrichten und durch Wettbewerbe, Aktionen, Arbeitsgruppen gewinnt das Stichwort "Barrierefreies Webdesign" weiterhin an Bedeutung. Dabei wird meist der Blick auf den Kommunikator gerichtet und der Frage nachgegangen, was Webdesigner für die Internetzugänglichkeit tun können. Die blinden Rezipienten wirken passiv, fast hilflos den Internetmedien ausgeliefert, ohne einen Aktionsradius alternativer Nutzungsmöglichkeiten zu besitzen.

In dieser Arbeit wird die Sichtweise der Rezipienten beleuchtet. Im Mittelpunkt des Interesses stehen geburtsblinde und früherblindete Schüler, welche mit fehlender Sehkraft, aber auch mit den Möglichkeiten der Internettechnologie aufgewachsen sind. Die zentrale Frage dieser Arbeit lautet: Was machen blinde Schüler mit dem Internet? Welche Bedürfnisse möchten und können sie über dieses Medium befriedigen? Außerdem: Wo tauchen Schwierigkeiten auf, wie werden diese von den Schülern gelöst und welche Rolle spielt dabei die BITV?

Der Arbeit liegt die Theorie der Gratifikationsfoschung, sprich der Nutzenansatz, zugrunde. Im Gegensatz zum Wirkungsansatz wird beim Nutzenansatz das Publikum als aktiv und zielgerichtet angesehen, welches bewusst bestimmte Bedürfnisse befriedigen möchte und dementsprechend aus dem breiten Angebot das passende Medium auswählt. Diese Theorie erläutere ich im ersten Kapitel (Nutzeransatz bezogen auf das Internet) und erweitere im Abschluss das GS/GO-Modell mit Blick auf das Internet.

Im zweiten Kapitel beschäftige ich mich eingehend mit der Kommunikationssituation blinder Schüler. Durch das Befassen mit deren Sonderstellung in unserer Gesellschaft gebe ich einen Einblick in die sozialen und psychologischen Ursprünge der Erwartungen blinder Schüler. Anschließend erläutere ich ausführlich die Entwicklung der Kommunikationshilfen für Blinde, um das Potenzial, welches das Internet für Blinde bietet, zu verdeutlichen. Die Anwendung des erweiterten GS/GO-Modell strukturiert die vorherigen Erläuterungen und bildet die Grundlage für die empirische Studie.

Die Bedingungen der Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV), die verbindlichen Vorgaben für die barrierefreie Gestaltung von Internetseiten, gehe ich im dritten Kapitel (Barrierefreiheit) schrittweise durch. Im Vordergrund stehen die Bedingungen, welche für Blinde relevant sind.

Bei meiner qualitativen Untersuchung, die ich im vierten Kapitel erläutere, führe ich Gruppeninterviews und Gruppendiskussionen mit insgesamt 18 blinden Jugendlichen durch. Nach der Wiedergabe der Interview- und Diskussionsinhalte führe ich eine systematische Gesamtanalyse durch, um die oben gestellte Frage zu klären, "was blinde Schüler mit dem Internet machen".

Im fünften Kapitel (Fazit) fasse ich die gewonnenen Erkenntnisse kurz zusammen und gebe mit Blick in die Zukunft ein abschließendes Fazit.