Barrierefreies Webdesign ein zugängliches und nutzbares Internet gestalten

Das Internet hören und fühlen geschrieben von Niki Slawinski (2005)

Fazit

"Es gibt viele Alternativen im Internet. Man kann nicht sagen, dieser Dienst ist für Blinde nicht zugänglich", so Patrick (Gruppendiskussion Marburg 1).

Die empirische Studie bestätigt, dass sich der Nutzenansatz eignet, um die Art der Internetnutzung von blinden Schülern zu beschreiben. Die Annahmen des Nutzenansatzes (vgl. Kapitel "Theorie der Gratifikationsforschung") werden sowohl durch den explorativen als auch den empirischen Teil der Arbeit bestätigt. Sofern die technischen Voraussetzungen und die persönlichen Fähigkeiten gegeben sind, agieren die blinden Schüler als aktives "Publikum". Die souverän surfenden Schüler fühlen sich den Internetseiten nicht hilflos ausgeliefert, sondern besitzen innerhalb des Angebots einen Aktionsradius alternativer Nutzungsmöglichkeiten. Von den Rezipienten geht die Initiative aus. Falls sie auf eine Internetseite stoßen, die nicht barrierefrei genug, also nicht zugänglich, ist, dann geben sie nicht auf, sondern suchen weiter. Sie bestimmen, ob sie eine Internetseite nutzen oder nicht. Die Rezipienten leben ihre Freiheit aus, unter Alternativen auszuwählen und ziehen dabei manchmal auch andere Quellen der Bedürfnisbefriedigung vor. Oliver gehe zum Einkaufen lieber in den Laden, als Online-Shops zu nutzen und das, obwohl er die Shopfunktionen beherrsche (Oliver, Gruppendiskussion Marburg 1). Die Internetangebote konkurrieren also nicht nur untereinander, sondern auch mit Angeboten außerhalb des weltweiten Netzes. Die erfahrenen blinden Internetnutzer können über ihre Ziele und Bedürfnisse Auskunft geben. Dies haben die Gruppenbefragungen deutlich gezeigt, besonders bei denjenigen, die bereits erfahren mit dem Internet umgehen können. Die offenen Konzepte der Gruppeninterviews und der Gruppendiskussionen eigneten sich deshalb sehr, um die komplexe und bisher gar nicht bis wenig erforschte Welt der internetnutzenden blinden Schüler zu erforschen. Vor allem das Gruppendiskussionskonzept, welches besonders auf die Aktivität der Befragten setzte, ließ den positiven Umgang interneterfahrener Schüler mit dem Internet erkennen.

Die entscheidende Erkenntnis dieser Arbeit lautet: Wenn die persönlichen Fähigkeiten es erlauben, können blinde Schüler alle ihre gesuchten Gratifikationen erhalten. Die Barrierefreiheit einer einzelnen Internetseite ist nicht entscheidend, denn insgesamt betrachtet ist das Internet gegenwärtig ausreichend barrierefrei.

Die Wichtigkeit der Forderung an das Bildungssystem, wie sie Hertlein 1998 auf dem Blindenlehrer-Kongress formulierte, wird durch die qualitative Studie bestätigt: Auch im Individualfall muss Schülern die notwendige Computertechnik beschaffen werden, denn Versäumnisse auf diesem Gebiet könnten sich "katastrophal" auswirken - siehe Kapitel "Die widersprüchliche Entwicklung des Internets" und (vgl. Hertlein 1998 S. 508. Blinde Schüler müssen technisch für das Informationszeitalter ausgerüstet sein, denn nur so können sie das große Potenzial des Internets nutzen. In Marburg wurde der richtige Weg eingeschlagen, indem schrittweise alle Schüler einen Laptop als Lernmittel erhalten (siehe Kapitel "Forschungsfrage, Forschungsmethode und Auswahl der Befragten"). Es ist zu wünschen, dass dieser Trend bundesweit fortgesetzt wird.

Mit Blick auf die Wissenschaft wurden Fragen beantwortet, aber auch neue aufgeworfen. Nachdem die qualitative Studie relevante Aspekte bzgl. der Internetnutzung einzelner blinder Schüler erkennen ließ, könnte nun mit einer schriftlichen Befragung unter blinden Schülern die quantitative Meinungsverteilung untersucht werden. Im Bereich der qualitativen Gratifikationsforschung wäre es interessant, die Ergebnisse dieser Studie mit denen von qualitativen Befragungen mit sehenden Schülern zu vergleichen. Wofür nutzen sehende Schüler das Internet und inwieweit unterscheiden sich deren Gratifikationen von denen der blinden Schüler?

Auch wenn blinde Internetprofis sehr gut mit dem Internet zurecht zu kommen scheinen, gilt es, die Beachtung der Anforderungen der BITV weiterhin von Kommunikatoren zu fordern. Das Internet ist zum großen Teil barriefrei und soll es auch bleiben. Bei behördlichen Seiten des Bundes und der Kommunen ist die Barrierefreiheit unabdingbar, denn in diesem Bereich haben die Internetnutzer keine Alternativen. Wer ein Formular der Stadt online aufrufen möchte, kann es nur auf der Seite der Stadt, in der er wohnt. Deswegen ist im Bereich der Behörden und öffentlichen Institutionen das Setzen von Fristen für die Umsetzung der BITV der richtige Weg.

Mindestens genauso wichtig ist es allerdings, dass die Hersteller von Computerhilfsmitteln die Weiterentwicklung stets voran treiben und die Barrierefreiheit auch in Zukunft direkt auf der Seite der Rezipienten sichern. Dieser Technik ist es zu verdanken, dass gegenwärtig das Internet für Blinde überhaupt zugänglich ist.