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Lesen, was drinsteht — rausholen, was drinsteckt: Wie blinde Computernutzer sich PDF-Dokumente zugänglich machen geschrieben von Oliver Nadig (2005)

Dieser Beitrag wurde von Oliver Nadig in Oktober 2005 verfasst. Die vorliegende Fassung ist die Version 1.02 vom 25.1.2006.

4.1 Wie Screenreader und Adobe Reader zusammenarbeiten

"Sehende Personen, die beobachten möchten, was ihr Computer gerade tut, holen sich diese Informationen durch einen Blick auf den Monitor. Ein Screenreader, der im Dienste eines blinden EDV-Anwenders das Gleiche tun soll, hat es da sogar noch besser: Auch einem Screenreader stehen Mittel und Wege zur Verfügung, den Inhalt des Computerbildschirms zu analysieren – nicht umsonst heißt Screenreader ja wörtlich 'Bildschirmleser'. Häufig kann ein Screenreader jedoch noch auf zahlreiche andere Informationen zugreifen: Besonders entgegenkommende Programme flüstern dem Bildschirmleser zusätzliche hilfreiche Botschaften zu, die entweder momentan nicht auf dem Bildschirm stehen oder gar nicht für die optische Ausgabe bestimmt sind."

"Könnten Sie mir ein konkretes Beispiel nennen, damit ich mir das besser vorstellen kann?"

"Gerne. Führen Sie zusammen mit einer sehenden Person das folgende Experiment durch (die Sprachausgabe Ihres Screenreaders muss dazu eingeschaltet sein):

  1. Öffnen Sie den Microsoft Internet Explorer und rufen Sie über die Taste F1 das Hilfesystem auf.
  2. Das Hilfefenster ist senkrecht in zwei Teile gegliedert. Im linken Teil finden Sie das Inhaltsverzeichnis mit den verfügbaren Hilfebüchern und den darin enthaltenen Hilfethemen. Gehen Sie mit den Pfeiltasten im Inhaltsverzeichnis nach unten, bis Sie auf das Hilfebuch 'Anpassen Ihres Webbrowsers' stoßen und öffnen Sie es durch Betätigen der "Eingabetaste".
  3. Betätigen Sie dreimal die Taste 'Pfeil-unten'. Ihre Sprachausgabe sollte jetzt die Überschrift eines Hilfethemas vorlesen. Der Überschriftentext lautet: 'Ändern von Schriftarten und Hintergrundfarben bei der Anzeige von Webseiten'. Da dieser Text sehr lang, das linke Teilfenster des Hilfefensters jedoch nicht sehr breit ist, wird der Text rechts abgeschnitten. Dies können Sie eventuell auch mit Hilfe Ihrer Braillezeile erkennen. Während der Sehende auf Ihrem Bildschirm beispielsweise nur 'Ändern von Schriftarten und Hintergrun' lesen kann, sagt die Sprachausgabe den Text vollständig an."

"Faszinierend – und das funktioniert, weil der Internet Explorer meinem Screenreader den gesamten Text 'zuflüstert'?"

"Richtig. Der Internet Explorer und einige andere Screenreader-freundliche Programme bedienen sich dazu einer Technologie namens Microsoft Active Accessibility, abgekürzt MSAA. Dabei muss MSAA gleichzeitig von den freundlichen Programmen und vom eingesetzten Screenreader unterstützt werden. Es ist wie bei einer Sprache: Versteht einer der beiden beteiligten Sprecher die Sprache nicht, kommt keine Kommunikation zustande. Glücklicherweise wird MSAA von allen gängigen Screenreadern unterstützt."

"Was bedeutet das aber im Zusammenhang mit PDF?"

"Ein PDF-Dokument wird vom A.R. zunächst einmal rein grafisch am Bildschirm dargestellt. Nun werden einem eingesetzten Screenreader Informationen über den Inhalt und – falls vorhanden – auch Informationen über die logische Struktur des Dokumentes mit Hilfe der MSAA-Technologie zur Verfügung gestellt. Der Screenreader wertet diese Informationen aus und sorgt dafür, dass Sie das PDF-Dokument über Sprachausgabe und Braillezeile lesen können."

"Ich glaube, jetzt habe ich die Probleme mit PDF-Dateien auch auf technischer Ebene verstanden:

"Besser kann man es gar nicht zusammenfassen!

Die meisten Hersteller von Screenreadern haben das Lesen von PDF-Dateien im A.R. sehr komfortabel gemacht: Sie bauen aus den MSAA-Informationen ein eigenes Dokument zusammen, indem man sich sogar mit einem Cursor komfortabel wie in einem Textverarbeitungsprogramm bewegen kann."

"Heißt das: Im A.R. selbst gibt es gar keinen Cursor?"

"Ebenso wenig wie im Internet Explorer."

"Ich kann mich aber doch auf Webseiten mit den Cursortasten bewegen. Wie kommt denn das?"

"Hier wenden die Entwickler von Screenreadern das gleiche Prinzip wie beim A.R. an: Der Internet Explorer ist genau so ein freundliches Programm wie der A.R. Auch er liefert Informationen über Inhalt und Aufbau der am Bildschirm gezeigten Dokumente (in seinem Falle sind das Webseiten) an Ihr Bildschirmleseprogramm. Dieses baut daraus ein vollkommen neues und zugleich 'blindengerechtes' – Dokument auf, das heißt, es ist braillezeilen- und sprachausgabenfreundlich formatiert; außerdem kann man es mit den Pfeiltasten ähnlich bequem lesen wie ein Dokument in einem Textverarbeitungsprogramm. Einen 'echten' Cursor gibt es im A.R. und im Internet Explorer" nur im Zusammenhang mit der Formularbearbeitung."

"Sie sprachen davon, dass der Screenreader aus den Informationen die er vom A.R. über eine PDF-Datei bzw. vom Internet Explorer über eine Webseite bekommt, ein völlig neues Dokument aufbaut, das 'blindenfreundlich' formatiert ist und über einen Cursor verfügt, den es eigentlich gar nicht gibt. Was hat denn dieses Dokument, das ich mit der Braillezeile und der Sprachausgabe lesen kann, überhaupt noch mit dem zu tun, was der Sehende auf dem Bildschirm sieht?"

"Unter Umständen nicht mehr sehr viel, das kommt aber auf das Dokument und den Screenreader bzw. weitere Hilfsprogramme an. Ich gebe Ihnen mal einen kurzen Überblick:

"Nun gibt es ja den A.R., die verschiedenen Screenreader und den WebFormator in unterschiedlichen Versionen. Deshalb möchte ich, bevor wir zu den Tastenkombinationen des A.R. kommen noch schnell fragen, ab welcher Screenreader-Version ich mit welcher Version des A.R. arbeiten kann."

"Mit dem WebFormator können Sie erst ab der aktuellen Version 2.1 PDF-Dokumente lesen und benötigen dazu mindestens den A.R.6. Ab welcher Screenreader-Version welche Version des A.R. unterstützt wird, erläutere ich Ihnen am Besten anhand einer Tabelle:

A.R.5, A.R.6 oder A.R.7 zusammen zu arbeiten">
Name des
Screenreaders
Erforderliche
Screenreader-Version
für Acrobat Reader 5
Erforderliche
Screenreader-Version
für Adobe Reader 6
Erforderliche
Screenreader-Version
für Adobe Reader 7
Blindows (*) 2.21 (empfohlen: 3.01) 3.10 3.10
HAL / SuperNova 5.11 5.20 5.20
JAWS 3.71 (empfohlen: 4.02 5.0 5.0 (empfohlen: 6.1)
Virgo (*) 4.4 4.4 4.4

(*) Anwendern von Virgo und Blindows wird seitens der Hersteller empfohlen, PDF-Dokumente mit Hilfe des WebFormators (Version 2.1) zu lesen, der seinerseits mindestens den A.R.6 voraussetzt."

"Darf ich das in diesem Abschnitt Gelernte noch einmal kurz zusammenfassen:"

Zusammenfassung von Abschnitt 4.1

  1. "Die Darstellung eines PDF-Dokumentes im A.R. ist rein grafisch und kann mit Hilfe eines Screenreaders nur deshalb gelesen werden, weil der A.R. dem Bildschirmleser Informationen über den Textinhalt und – falls vorhanden – Informationen über den logischen Aufbau des Dokumentes über die MSAA-Technologie zur Verfügung stellt.
  2. Die meisten Screenreader bauen aus den MSAA-Informationen ein eigenständiges, von der Bildschirmdarstellung unabhängiges Dokument auf und stellen in diesem Dokument sogar einen Cursor zum komfortablen Lesen zur Verfügung.
  3. Der Screenreader JAWS nennt diese bildschirmunabhängige Darstellung 'virtuellen Puffer' und den bereit gestellten Cursor 'virtuellen PC-Cursor'. Bei Virgo heißt die Dokumentdarstellung 'DocumentWizard' und der Cursor 'simulierter Cursor'. Die beiden Screenreader 'HAL / Supernova' und 'Blindows' verfügen über keinen speziellen Anzeigemodus für PDF-Dokumente. Deshalb wird für die beiden letztgenannten Produkte sowie für Virgo der Einsatz des kostenlosen Programms 'WebFormator' empfohlen, das ab der Version 2.1 im Zusammenspiel mit A.R.6 und A.R.7 ebenfalls PDF-Dokumente anzeigen kann."